Liebe, (kein) Sex und Zärtlichkeit

Dabei
23 Nov 2016
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#1
Liebes Forum, ich schildere euch mal die Situation.

Meinen Lebensgefährten kenne ich nun seit mehr als 6 Jahren. Er ist 47, ich 43. Nach anfänglichen Irrungen und Wirrungen kamen wir zusammen, die Beziehung und Liebe bauten sich langsam, aber stetig auf. Je länger wir zusammen waren, desto unkomplizierter, vertrauensvoller und schöner wurde es. Aber ich sollte erwähnen, dass wir beide aus belastenden Ex-Beziehungen kamen und entsprechend Ballast mit uns herumschleppten. Außerdem mussten wir als Patchwork-Familie mit 2 Kindern zusammenfinden und 2017 kam dann der Hammer mit der Hirntumor-Diagnose meines Freundes und die darauf folgenden Therapien und seine Arbeitsunfähigkeit. Und dann kam natürlich noch Corona...

Alles in allem liegen wirklich heftige Jahre hinter uns, aber wir haben über die Zeit zusammengehalten und Vertrauen und Zuneigung sind daran gewachsen und nicht etwa zerbrochen.

Wir sind als Familie zusammengerückt, der Tumor ist zwar nicht weg, aber verhält sich seit fast 4,5 Jahren still (was ein toller Erfolg ist), finanziell ist alles okay, weil eben ich arbeiten gehe und mein Freund Haus und Hund hütet. Mit dieser Rollenverteilung haben wir uns ganz gut arrangiert.

Wir haben uns aus dem Schlamassel ganz gut herausgekämpft, würde ich sagen. Aber ich eröffne natürlich keinen Thread, wenn es nicht doch stellenweise haken würde.

Bedingt durch seine Krankheit, ist mein Freund weit weniger belastbar als ich, physisch wie psychisch. Es gab über die Jahre deswegen natürlich auch immer wieder Phasen, in denen Sex nicht möglich war. Bei ihm sind verschiedene wichtige Hormone dauerhaft in ihrer Produktion gestört (u. A. Testo, Schilddrüse) und er muss sie durch entsprechende Präparate ersetzen. Leider ist nichts so gut, wie die körpereigene Regulation. Bedeutet, dass er zwar Hormone nimmt und damit zurechtkommt, aber dennoch das System so empfindlich ist, dass negative Auswirkungen bleiben. Daran kann kein Arzt etwas ändern (wir haben schon alles durch). Er hat vor allem in Bezug auf Müdigkeit/Erschöpfung, Libido und Stresssensitivität erhebliche Einschränkungen. Es gibt noch andere, aber das sind die Wichtigsten.

Nun ist das für mich vom Verstand her natürlich komplett nachvollziehbar. Ich liebe meinen Freund sehr und möchte ihn nicht mehr missen. Unser Alltag ist sehr harmonisch, wir teilen denselben Humor, er ist unglaublich liebevoll und empathisch. Wir gehen respektvoll, fürsorglich miteinander um und suchen beide den Körperkontakt.

Ich befinde mich aber in einem ständigen Konflikt mit mir selbst: denn da ich diese körperlichen (und seelischen) Einschränkungen nicht habe, fehlt mir beispielsweise der Sex. Auch bei anderen Projekten kann ich ihn nicht "einplanen". Ich fahre auch allein in Urlaub, weil ihn längere Fahrten oder Veränderungen im Alltagsablauf stressen. Auch in Phasen der beruflichen Belastung bei mir (die es gab), kann er mich nicht entlasten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Ich fühle dann manchmal eine Enttäuschung in mir, die zwar ungerecht ist, aber die eben ist. Es ist in etwa so, als würden uns 20 Jahre oder mehr trennen und als sei er z. B. Der "Rentner" (Was er de facto ist), während ich mit Anfang 40 noch einiges vom Leben will und erwarte und mich viel jünger fühle als er. Obwohl uns eigentlich nur knapp 5 Jahre trennen und wir in einer ähnlichen Lebensphase sein sollten, sind wir es nicht. Ich bemerke, dass mein Freund häufig von früher erzählt (von Ereignisse vor der Diagnose) und irgendwie zunehmend in der Vergangenheit lebt, während ich mir die Zukunft ausmale.

Letztens meinte mein Freund zu mir, dass er sich nicht mehr vorstellen könne, etwas Neues zu lernen. Mich hat diese Aussage irgendwie total getroffen und deprimiert. Ich kann mir nicht vorstellen, aufzuhören, etwas Neues zu lernen.

Ich weiß nicht genau, wie ich damit umgehen soll. Manchmal komme ich phasenweise gut damit zurecht und alles ist perfekt. Dann wieder gibt es sehr schlechte Phasen, in denen mich die Situation unfassbar deprimiert.
 
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Dabei
24 Sep 2017
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#2
Hi @Badesalz,
ah, jetzt ergibt der andere Thread mehr Sinn.
Natürlich geht jede:r anders mit so krassen gesundheitlichen "Katastrophendiagnosen" um, ich konnte mir bei mir persönlich aber auch vorstellen, dass ich mich in eine Schonhaltung begeben würde und mir sagen "ich habe einen Gehirntumor, jetzt lasse ich es langsam angehen, dieses und jenes muss ich mir nicht mehr geben" und dabei geistig immer gemütlicher werden. Sorry für diese Standardfragen, aber passieren bei ihm noch Dinge außerhalb des Haushaltes und der Kinder? Hält er Kontakt mit seinen Freund:innen, hat er Hobbies, macht er mäßigen Sport - also alles in Richtung Ausgleich und Reize? Machst du nur Urlaub ohne ihn oder sind kürzere Trips mit ihm drin?
Wie offen kannst du denn mit ihm über Sex reden - oder hast du ein schlechtes Gewissen, wenn du es ansprichst? Wie offen wäre er zum Beispiel, wenn du Sex initiieren versuchtest und du aber ein Sexspielzeug mit rein brächtest? Wie wichtig ist es dir und ihm denn, dass es monogram bleibt?
 
Dabei
6 Mrz 2013
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#3
Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich deine Überschrift richtig verstanden habe: Gibt es also Liebe und Zärtlichkeit zwischen euch, aber (überhaupt) keinen Sex? Auch keinen Sex in der Form, dass er dich mit anderen Mitteln befriedigt? Empfindet er noch Lust und kann "nur" den Akt nicht mehr vollziehen?
Auch bei anderen Projekten kann ich ihn nicht "einplanen". Ich fahre auch allein in Urlaub, weil ihn längere Fahrten oder Veränderungen im Alltagsablauf stressen. Auch in Phasen der beruflichen Belastung bei mir (die es gab), kann er mich nicht entlasten.
Das fände ich persönlich nicht schlimm. Ich kenne das (zB durch Fernbeziehungen) auch so, dass ich mein Leben im Wesentlichen selbst gestalte. Auch allein in den Urlaub fahren ist für mich kein Problem, auch wenn ich einen Partner habe. Bei beruflicher Belastung finde ich es schon super, wenn ich mit einem Partner das berufliche Problem besprechen kann, mehr Entlastung geht da sowieso nicht. Also im Grunde führt man da ein Single+ Leben.

Was anderes wäre es, wenn du dich dann noch um deinen Freund kümmern müsstest, weil er bestimmte notwendige Dinge nicht mehr machen kann. Da könnte das Ganze dann kippen (aus meiner Sicht).
 
Dabei
23 Nov 2016
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#4
Der Begriff "Schonhaltung" trifft es ganz gut. In allen Bereichen. Es ist ein Herunterfahren auf 30-50 % des normalerweise Möglichen (das schwankt etwas). Mittlerweile kommen wir die meiste Zeit beide ganz gut damit klar. Für ihn war bzw. ist das ja auch ein Prozess des Akzeptierens.

Für mich stellt sich eben die Frage, wie ich mich von bestimmten Vorstellungen, wie mein Leben auszusehen hat, löse. Beispielsweise hat man ja eventuell zuerst die Vorstellung, dass man gemeinsam in Urlaub fährt. Das ist nicht mehr machbar. Von dieser Vorstellung musste ich mich also verabschieden und mich erst einmal orientieren, welche Alternativen es da gibt. Mittlerweile habe ich nicht mehr die Erwartung an meinen Partner, dass wir gemeinsame Urlaube planen oder verbringen. Ich plane sie also von vornherein allein. Klar gibt es Alternativen, beispielsweise fahre ich in diesem Sommer mit meiner Schwester weg. Ich könnte mich auch einer Reisegruppe anschließen. Das ist in Ordnung und ich freue mich auf den Urlaub mit meiner Schwester. Aber dennoch gibt es immer wieder Momente, in denen ich dem nachtrauere, was ich mir mit meinem Partner wünsche. Obwohl ich weiß, dass es nichts bringt. Natürlich liebe ich meinen Freund auch ohne Urlaub.

Mit dem Sex ist es da schon schwieriger als mit dem Reisen. Da könnte ich mir eine "Alternative" zu meinem Freund nicht vorstellen. Ich finde ihn nach wie vor attraktiv. Es ist ein bisschen so, wie wenn man Heißhunger auf Schokolade hat, die Pralinenschschtel direkt vor einem steht und man dennoch keine nehmen darf.

Der Vergleich hinkt aber, weil Pralinen wohl keine Schuldgefühle haben. Mein Freund hat die schon, denn natürlich ist Sex ein Thema. Wir haben schon alles Mögliche besprochen, ausprobiert, Ärzte gefragt, es bleibt aber dabei, dass es keine zufriedenstellende Lösung gibt. Weil es keine Heilung gibt. Mein Freund ist deswegen genauso deprimiert und frustriert. Er will ja, dass ich glücklich bin. Wir sind beide monogam, ein Herumexperimentieren mit einer dritten Person wäre für uns beide nichts. Also heißt es, die Situation annehmen, wie sie ist.

Mein Freund hat ohnehin schon mega Ängste, dass ich ihn eines Tages verlassen könnte. Ich denke keine Sekunde daran und das sage ich ihm auch, aber für ihn ist das etwas, das immer wieder hochkommt. Er hat mir einmal gesagt, dass er ohne mich nicht mehr leben würde. Er hat das nicht nur auf die Vergangenheit bezogen gesagt.

Wenn ich dann mit der Sex-Sache ankomme und etwas von ihm einfordern, das er mir nicht geben kann, verstärkte ich damit seine Ängste ja nur. Das will ich nicht. Auch ein anderer Mann wäre da der Super-Gau. Ich will nicht, dass mein Freund sich Sorgen macht oder Zweifel an mir bekommt, die unnötig sind. Ich würde sein Vertrauen nicht aufs Spiel setzen.

Die Frage ist also, wie ich besser klarkomme. Welche Strategien es da gibt.
 
Dabei
23 Nov 2016
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#5
Gibt es also Liebe und Zärtlichkeit zwischen euch, aber (überhaupt) keinen Sex? Auch keinen Sex in der Form, dass er dich mit anderen Mitteln befriedigt? Empfindet er noch Lust und kann "nur" den Akt nicht mehr vollziehen?
Der Sex ist sehr selten geworden, weil er keine Lust / Libido hat und dementsprechend nicht "in Fahrt kommt". Er hat ein chronisches Erschöpfungssyndrom. Der Akt an sich strengt in an. Er hat keinen "Trieb". Kuscheln, Küssen, Streicheln und Zärtlichkeiten austauschen sind aber sehr häufig. Er sucht häufig den Körperkontakt. Wenn ich wegen der Arbeit mal weniger kuscheln will, besorgt ihn das.
 
Dabei
23 Nov 2016
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#6
Auch keinen Sex in der Form, dass er dich mit anderen Mitteln befriedigt?
Das wäre für mich ehrlich gesagt auch keine Dauerlösung und macht ja nur Sinn, wenn der andere ebenfalls ein Mindestmaß an Freude oder Verlangen hat, den anderen zu befriedigen. Sonst ist es ein sehr einseitiges Vergnügen, was mich ehrlich gesagt abturnen würde. Da kann ich auch alleine für sorgen.
 
Dabei
23 Nov 2016
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#7
Das fände ich persönlich nicht schlimm. Ich kenne das (zB durch Fernbeziehungen) auch so, dass ich mein Leben im Wesentlichen selbst gestalte.
Ich glaube, dass es einen Unterschied macht, ob man zusammenwohnt und alles alleine macht, oder alles alleine macht, weil man sich wegen der Distanz zwischendurch nicht sieht. Meistens ist die gemeinsam verbrachte Zeit bei einer Fernbeziehung dann umso intensiver, wenn man sich sieht. Außerdem sind Fernbeziehungen selten auf Dauer angelegt, also über viele Jahre.
Ich bin schon ein ziemlich autarker Mensch. Aber wenn ich in einer Beziehung bin, will ich auch kein Single+ sein.
Wobei wir da wieder bei meiner Erwartungshaltung wären.... 🤔
 
Dabei
6 Mrz 2013
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#8
Danke für deine Erläuterungen, jetzt kann ich das besser einordnen.
Das ist wirklich sehr schwierig. Vielleicht lässt sich das vergleichen mit einem Partner, der querschnittsgelähmt ist. Vielleicht gibt es da Selbsthilfegruppen/ Foren/ Therapiegruppen, in denen man gemeinsam Strategien lernt, v.a. damit umzugehen, dass man selber nach wie vor Lust auf Sex mit dem Partner hat, der Partner aber keine Lust auf Sex hat? Und man könnte auch lernen, mental damit umzugehen, dass man viele Sachen nicht (mehr) gemeinsam machen kann (wobei ich das Thema Sex am schwierigsten finde).
Ansonsten würde ich das mit der Lust vielleicht doch mal so probieren, dass er dich mit anderen Mitteln befriedigt oder du dich neben ihm damit befriedigst; er wäre dann in deine Lust mit eingebunden, und auch wenn er selber keine sexuelle Lust mehr empfindet, wünscht er sich doch dass du zufrieden bist? Und außerdem kann es ja doch mal sein, dass du irgendwann Lust auf Sex mit einem konkreten anderen Mann bekommst; dann würde ich das an deiner Stelle nicht gleich wegschieben sondern mir Gedanken machen ob und wie ich dem nachgehen würde.
Urlaub und so finde ich persönlich nach wie vor nicht so problematisch. Man kann auch alleine oder mit einer Freundin wegfahren. Macht man wenn man Single ist ja auch und kann trotzdem schön sein. Wenn man ihn da einbeziehen will, kann man ihm ja Fotos und Texte dazu schicken oder ihm per Skype die tolle Aussicht zeigen usw.
 
Dabei
5 Nov 2007
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#9
Liebes Forum, ich schildere euch mal die Situation.

Meinen Lebensgefährten kenne ich nun seit mehr als 6 Jahren. Er ist 47, ich 43. Nach anfänglichen Irrungen und Wirrungen kamen wir zusammen, die Beziehung und Liebe bauten sich langsam, aber stetig auf. Je länger wir zusammen waren, desto unkomplizierter, vertrauensvoller und schöner wurde es. Aber ich sollte erwähnen, dass wir beide aus belastenden Ex-Beziehungen kamen und entsprechend Ballast mit uns herumschleppten. Außerdem mussten wir als Patchwork-Familie mit 2 Kindern zusammenfinden und 2017 kam dann der Hammer mit der Hirntumor-Diagnose meines Freundes und die darauf folgenden Therapien und seine Arbeitsunfähigkeit. Und dann kam natürlich noch Corona...
Ich hab mir nochmal deine bisherigen Threads durchgelesen. Für mich ist das sehr beeindruckend, wie du dich entwickelt hast und das bei den vielen schweren Problemen und Schicksalsschlägen , die du und dein jetziger Lebensgefährte bewältigen mussten. Und jetzt kannst du sagen, dass du in einer liegevollen und von Vertrauen getragenen Bezeihung lebst. das ist bei den schweren Problemen die ihr tragen müsst, wie ein Wunder.

Zur Sexualität kann ich nichts sagen, zumal ihr sicher alles, was Mediziner dazu sagen können, mit den Ärzten besprochen habt. Zum Beispiel, das die Medikamente, die ehr jetzt in seinem Schicksalsschlag nehmen muss, Nebenwirkungen haben.

Wie empfindet denn dein Lebenspartner eure jetzige Beziehung? Und seine nachlassende Libido?
 
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