Die Geschichte von Günther

Dabei
8 Sep 2011
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#1
Günther ist Chatter. Günther ist auch in seinem Lieblingschat in ganz vielen Gruppen wie "Aber ich mag doch den Keks!", "FICKEN? Nein man,Dortmund spielt..." und "Ruhrpott-Leck mich Fett is dat Geil hier", weil er da ganz viele nette Leute kennenlernt.



Günther gibt auch jeden Monat Geld dafür aus, damit er in seinem Lieblingschat auch VIP-Mitglied sein kann. Da hat man ganz viele Vorteile! Günther hat sein Profil ganz doll in seinen Lieblingsfarben gestaltet, darf jetzt 40.000 Gästebucheinträge machen und sich in 5 Chaträumen gleichzeitig aufhalten.


Manchmal kauft Günther auch Punkte. Das ist, damit er seinen vielen Freunden ganz tolle virtuelle Geschenke machen kann. es gibt ja auch so viele schöne saisonale Geschenke, im Sommer süße Schwimmreifen, und im Winter kann man ganz tolle Schneeballschlachten machen, sogar mit Schneebällen mit Yeti-Pipi drin. Das ist lustig, und Günther lacht sich dann öfter halbtot an seinem Bildschirm.
Günther hat sich auch schon zwei mal mit Chatbekanntschaften getroffen. Beide Male schlug ihm das Herz bis zum Hals, und beim zweiten mal durfte er sogar ran. Das war toll, und Günther erinnert sich immer wieder daran, wenn er die Alimente überweist.



Das Kind hat er noch nie gesehen, aber die Stunde in dem Hotel war es echt wert.
Trotzdem trifft er sich nicht mehr, denn das Geld hätte er besser brauchen können. Er hat sich aber ganz doll verliebt in Petra. Die hat er sogar geheiratet. Im Radio. Da hatte er sogar eine eigene Sendung. Die anderen fünf Hörer waren auch ziemlich gerührt, und die Hochzeitsnacht am Telefon war mehr als nur geil, die war was ganz Besonderes. Die Radioleiterin hat das auch echt toll gemacht mit der Hochzeit. Das Radio hat auch kaum geknartzt an dem Abend, alles war echt perfekt. Jetzt ist er mit Petra zusammen. Richtig fest.


Günther sieht Petra natürlich regelmäßig. Er hat sich extra von seinem Hartz IV eine Webcam zusammengespart, und jedes Treffen ist ein Erlebnis. Die beiden müssen zwar immer warten, bis Petras anderer Ehemann im Bett oder nicht zu Hause ist, aber dafür hat Günther ganz viel Verständnis. Er weiß, er ist Petras große Liebe, und sie ist seine. Und mit ihrem Ehemann schläft sie sowieso kaum noch, weil sie sich immer auf die Kameratreffen mit Günther freut.


Vor einem Monat wollte Petra den Günther mal verlassen, aber da hat Günther ganz schöne, liebevolle Blogs geschrieben und bei 5 Chats reingesetzt, weil er wusste, dass Petra da auch drin ist. Da ist Petras Herz aber ganz schön weich geworden, und sie ist ganz schnell wieder zu ihm zurückgekehrt.


Das war aber auch abzusehen, weil Petra immer gern mit virtuellen Freunden gespielt hat. Schon als kleines Mädchen hatte sie von ihrem Opa einen Tamagochi geschenkt bekommen, und als sie älter war, hatte sie dann einen Nintendog, um den sie sich rührend gekümmert hat. Da war es dann nur logisch für sie, sich irgendwann einen Günther anzuschaffen. Günthers sind putzig, man kann mit ihnen spielen, und wenn man genug von ihnen hat, ist oben rechts der Knopf zum Ausschalten. Günthers sind billiger als Sims 3, man kann sich in der Freizeit eine Menge Spaß mit ihnen haben, wenn man nur ein bisschen Hand anlegt und sie machen keinen Dreck, wenn man sie bei Laune hält und sich regelmäßig um sie kümmert. Dann wachsen und gedeihen sie prächtig. Und wenn doch mal einer verhungert, laufen noch genug billige neue Günther-Eier im Chat rum. Petra ist der festen Überzeugung, jede Frau sollte sich einen Günther halten.


Es geht doch nichts über die Schmetterlinge im Bauch, und die anale Einführung der Raupen ist schnell und schmerzlos erledigt.


Günther hat alles über seine große Liebe auch seinem Freund erzählt, dem einzigen, der ihm geblieben ist. Der hält ihn für übergeschnappt. Aber Günther weiß genau, wahre Liebe kann nichts trennen. Und wenn sein Freund noch mal so was sagt, kann er sich einen anderen Freund suchen, so ist das.


Dies ist keine erfundene Geschichte. Ich habe leider in den letzten jahren im Netz wahnsinnig viele Günthers und Petras kennenlernen müssen, teilweise auch in vertauschten Rollen, aber es ist erschreckend, wie leichtfertig Menschen einerseits wegen virtueller Kontakte ihr reales Leben an den Nagel hängen und wie leichtfertig andere mit dem Leben dieser Menschen spielen.


In diesem Forum habe ich eine Menge über virtuelle Liebe gelesen. Kommunikation, egal in welcher Form, findet auf vielen verschiedenen Ebenen statt, wobei die tatsächlichen Worte nur 7% des Inhalts ausmachen. Der Rest ist Betonung, Körpersprache und vor allen Dingen Chemie. Sie bestimmt, ob etwas passt oder nicht. Das alles fällt im Internet weg. Also jeder, der im Internet das Gefühl hat, sich "verliebt" zu haben, sollte eines ganz ganz ganz schnell tun: sich mit dem- oder derjenigen treffen. Wenn es dann immer noch stimmt, ist es okay. wenn nicht, hängt man zumindest nicht monate- oder, wie ich auch schon erleben musste, jahrelang einem Luftschloss nach, das der Realität niemals standhalten kann.


Das ist meine Meinung. Was sagt Ihr dazu?
 
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Dabei
22 Aug 2011
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#2
Ich habe leider in den letzten jahren im Netz wahnsinnig viele Günthers und Petras kennenlernen müssen, teilweise auch in vertauschten Rollen, aber es ist erschreckend, wie leichtfertig Menschen einerseits wegen virtueller Kontakte ihr reales Leben an den Nagel hängen und wie leichtfertig andere mit dem Leben dieser Menschen spielen.

In diesem Forum habe ich eine Menge über virtuelle Liebe gelesen. Kommunikation, egal in welcher Form, findet auf vielen verschiedenen Ebenen statt, wobei die tatsächlichen Worte nur 7% des Inhalts ausmachen. Der Rest ist Betonung, Körpersprache und vor allen Dingen Chemie. Sie bestimmt, ob etwas passt oder nicht. Das alles fällt im Internet weg. Also jeder, der im Internet das Gefühl hat, sich "verliebt" zu haben, sollte eines ganz ganz ganz schnell tun: sich mit dem- oder derjenigen treffen. Wenn es dann immer noch stimmt, ist es okay. wenn nicht, hängt man zumindest nicht monate- oder, wie ich auch schon erleben musste, jahrelang einem Luftschloss nach, das der Realität niemals standhalten kann.

Das ist meine Meinung. Was sagt Ihr dazu?
Zustimmung. Verlieben kann man sich im Internet hervorragend (naja, sooo oft ist mir das auch noch nicht passiert), aber ob Liebe oder gar eine Beziehung draus wird, entscheidet sich in der Realität. Und wenn das klappt, sind diese Leute so schnell aus den Foren weg, dass man kaum noch "cu" schreiben kann. Übrig bleiben die Günthers und Petras - und da sie im Gegensatz zu den "echten" Menschen einen langen Zeitraum im Internet verweilen, erscheinen sie omnipräsent. Als ob es nur Günthers und Petras gäbe.

Ich kann nur vermuten, warum Günther und Petra nicht den Schritt in die Realität wagen. Vielleicht, weil es ihnen eben ganz gut gefällt, einen "bequemen" Partner zu haben? Einen, den man aus der Internet-Schublade holen kann, wann auch immer einem danach ist - und wieder hineinstecken kann, wenn man sich wieder realen Dingen zuwenden möchte. Einen, mit dem man das Verliebtheitsgefühl auskosten kann, ohne jemals in Gefahr zu geraten, Beziehungsarbeit leisten zu müssen. Ein Singleleben führen, und trotzdem zu wissen, dass es einen Menschen gibt, dem man etwas bedeutet. Bzw. dem die Illusion, die er von einem hat, etwas bedeutet - so genau kann man das mangels Vergleich mit der Realität ja nicht auseinanderhalten. Ich glaube, Günther wäre einer der Menschen, die alles dafür tun würden, damit Neo die Matrix nicht zerstört - denn es gefällt ihnen viel besser, in ihrem Traum zu leben, als der mitunter doch recht harten Realität ins Auge zu sehen.

Für mich wäre das nix. Ich bin im Moment glücklich, ein virtuelles Luftschloss zu haben - aber ich lebe nicht in ihm. Ich versuche, das Luftschloss Schritt für Schritt ganz langsam Richtung Realität zu steuern. Ab und zu gehe ich hinein und denke, alles dort sei real ... und dann gehe ich zurück auf die Erde. Und hoffe, dass das Luftschloss, wenn es denn irgendwann landet, nicht mit einem lauten Knall zerplatzt, sondern vielleicht ein reales Gebäude wird. Ähnlich dem, das ich im Internet gesehen habe - vielleicht nicht identisch, aber im Wesentlichen doch gleich - und so schön, dass ich darin leben möchte.

Übrigens, so eine Vorgehensweise ist der Kennenlernphase im realen Leben gar nicht so unähnlich. Auch dort laufen Menschen mit rosaroten Brillen durch die Gegend, bauen Luftschlösser, präsentieren sich selbst als Prinzen und Prinzessinnen .... Insofern glaube ich schon, dass das Internet ein guter Platz sein kann, echte Menschen kennenzulernen - durch die rein schriftliche Kommunikation bekommt man einen ganz anderen, tieferen Blick auf einen Menschen, der nicht von chemischen Prozessen beeinträchtigt wird. Es sei denn, man hat das Pech, auf Günther oder Petra zu treffen, die schon so lange im Netz leben, dass sie ganz vergessen haben, wie sie in der Wirklichkeit sind.
 
T

tiefschmerztaucher

Gast
#3
ich finde die Geschichte einfach nur traurig, aber so ähnlich erlebe ich auch viele Menschen.
 
Dabei
22 Aug 2011
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#4
Warum traurig? Güther und Petra sind doch glücklich in ihrer Welt - und vielleicht trifft das sogar auch auf Petras Ehemann zu. Traurig wird es erst. wenn so ein Mensch auf jemanden trifft, der mit ihnen in der Realität leben will - oft sind sie dazu nämlich nach Jahren in Wolkenkuckucksheim nicht mehr in der Lage. Internet-Beziehungen tendieren ja dazu, perfekt zu sein - und wenn sie es nicht sind ... die Auswahl ist doch so groß, da lässt sich ganz schnell ein anderer finden, der eine etwas bessere Illusion vermitteln kann. Gegen so eine Beziehungsillusion kann die Realität nur verlieren .... deshalb sollte man sie nie so lange leben, dass man darüber die Realität vergisst. Zumindest wenn man irgendwo noch den Wunsch hat, irgendwann mal wieder eine reale Beziehung zu haben.
 
Dabei
23 Aug 2011
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#5
Leute ich kann mich ja irren aber ich glaube die Story vom TE war nur als Parabel gedacht^^.
 
Dabei
22 Aug 2011
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#6
Leute ich kann mich ja irren aber ich glaube die Story vom TE war nur als Parabel gedacht^^.
Ein Kegelschnitt ???? *verwirrtbin*

Nee, ist schon klar, dass Günther und Petra keine konkreten Personen sind .... aber mit den letzten 3 Absätzen verlässt der TE den Kegelschnitt und stellt eine konkrete Frage.
 
Dabei
23 Aug 2011
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#7
Es sind nicht nur keine konkreten Personen sondern eine komplett fiktive Geschichte die nur zeigen soll wie sehr vorallem die nachkommenden Generationen bei der Partnersuche aufs Internet zugreifen. Das ist ja nicht gänzlich schlecht wie er auch selbst schreibt, das Internet bietet viele Möglichkeiten Leute mit selben Interessen/Gemeinsamkeiten/etc. zu finden. Weit mehr als wenn man nur vor die Haustür geht, wichtig ist nur das man wenn man dann jemanden kennengelernt hat sich auch real trifft und das besser früher als später. Sonst besteht die Gefahr das man sich in der eigenen Anonymität verliert und irgendwann nichtmehr weis wer man selbst ist, weil man dem Gegenüber nur noch gern gesehene Parameter übermittelt.

Mal ganz zu Schweigen welche Gefahr auch für die ganz jungen unter uns besteht die sich mit 12/13 Jahren mal schnell 18/19 Jahre alt machen ohne das dass wer überprüfen kann, die dann sowohl verbal und wenns ganz dumm läuft sogar physisch etwas ausgesetzt sind das sie noch nicht bewältigen können.
 
Dabei
8 Sep 2011
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#8
Die Geschichte ist nicht fiktiv, Günther gibt es wirklich, genau wie Petra. Natürlich stimmen die Namen nicht. Günther hat seit Beginn seines Chats seinen Job verloren und lebt nur noch von Hartz IV. Petra hat mittlerweile ihren Mann verlassen, weil ihr Mann leider dem Druck nicht standhalten konnte, sich mit einem fiktiven Traumschloss zu messen. Sie lebt jetzt, 450 km von Günther entfernt, allein mit ihren 3 Kindern in einer Wohnung und arbeitet vormittags. Getroffen haben sich die beiden noch immer nicht, weil Günther gemerkt hat, dass er mittlerweile ein Problem mit der Realität hat. Petra hat sich darüber hinweggetröstet, indem sie sich 2 weitere Günthers angeschafft hat.

Beide verlassen das Haus nur noch sehr selten, die Kinder haben sich ihre Mutter mit dem Internet zu teilen und haben zum Ausgleich je einen Nintendo DS bekommen. Ob sie auch Nintendogs haben, weiß ich nicht.

Günther hat mittlerweile auch mit seinem Freund gebrochen, um sich voll und ganz der Virtualität widmen zu können.

Und leider kenne ich 3 weitere Fälle dieser Art.
 
Dabei
23 Aug 2011
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#9
Tja was soll man dazu noch sagen, traurig das dass tatsächlich so passiert ist, die Lehre daraus bleibt jedoch die gleiche.
 
Dabei
8 Sep 2011
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#10
Es sind nicht nur keine konkreten Personen sondern eine komplett fiktive Geschichte die nur zeigen soll wie sehr vorallem die nachkommenden Generationen bei der Partnersuche aufs Internet zugreifen.
Es geht hier nicht um irgendwelche zukünftigen Generationen sondern um das, was tagtäglich draußen mit angeblich erwachsenen Menschen geschieht. Und es geht darum, dass jeder, der sich im Internet aufhält, eine Verantwortung hat, seinem eigenen Leben gegenüber (für das jeder selbst Regie führen MUSS) und anderen gegenüber eine Verantwortung hat. Genauso, wie auch jeder Community-Betreiber meines Erachtens nach eine Verantwortung hat. Es ist wie bei einem Spielplatz. Es reicht nicht, ihn zu bauen, man muss auch immer wieder kontrollieren, ob die Schaukeln und die Rutsche noch in Ordnung sind und ob man etwas falsch konstruiert hat, so dass sich Leute verletzen können. Meine Freundin und ich haben vor Kurzen eine Community ins Leben gerufen, und das sind genau diese Dinge, auf die wir Wert gelegt haben. Sicher, das macht eine wahnsinnige Arbeit, aber ich frage mich trotzdem, warum gerade großen Community-Betreibern das scheinbar sch...egal ist. Ich möchte nicht mit Schuld sein, wenn ein Günther oder eine Petra vor die Hunde gehen, und ich möchte auch nicht alles anbieten, was möglich ist, weil ich genau solche Schicksale kenne.

Klar, manchmal ist man nicht in der Lage, wirklich alles aufzufangen, aber es sollte doch möglich sein, nicht einfach etwas ins Netz zu stellen, sondern auch Pflaster anbieten können, wenn sich jemand schneidet. Und so traurig es teilweise ist, manchmal sind es genau die, von denen man glaubt, dass sie ach so erwachsen sind, die am verletzlichsten sind. Und das ist die heutige Generation, nicht erst die von morgen. Die von morgen macht mir noch größere Angst, aber da werde ich morgen auch mithelfen, genau die dann aufzufangen, und wenn ich heute schon ihren Eltern helfen kann, bekommen wir das morgen auch in den Griff.
 
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