Abschied von meinem Mann

Dabei
23 Nov 2016
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#1
Ich habe überlegt, ob ich ein Thema erstelle, denn ich möchte eigentlich nur meinen Schmerz wegschreiben und das für mich Unfassbare in Worte fassen. Ich möchte tatsächlich gar nicht reden.

Mein Mann und ich haben uns getrennt. Er hat sich von mir getrennt. Wobei ich besser schreiben müsste, dass uns die Krankheit getrennt hat. Ich wusste ja schon seit Langem, eigentlich schon seit 2017, als der Hirntumor diagnostiziert wurde, dass ich irgendwann Abschied von ihm würde nehmen müssen. Ich wusste auch, dass es schmerzhaft sein würde. Ich wusste all die Jahre nur nicht, wann dieser Zeitpunkt kommen würde und wie es passiert. Vorbereitet war ich trotzdem nicht. Keine Ahnung, ob man sich darauf vorbereiten kann, mir ist es jedenfalls nicht gelungen.

Im letzten Jahr ist der Tumor nach den paar Jahren Stillstand wieder gewachsen und leider hatte mich diese Nachricht Anfang des Jahres in eine ziemlich schlimme Krise gestürzt, ich konnte nicht mehr arbeiten und war auch in Psychotherapie, aber es hat mir nur mäßig geholfen. Rückblickend denke ich, dass ich damals schon eine Ahnung davon hatte, dass das der Anfang vom Ende ist.

Mein Mann musste sich einer großen OP mit anschließender Bestrahlung unterziehen. Es war wirklich sehr schlimm für ihn. Ich war die ganze Zeit natürlich für ihn da. Ich erspare euch die Details, es war wirklich furchtbar. Für ihn, für mich. Er hat sich davon nie wieder richtig erholt. Weder körperlich, aber schon gar nicht seelisch.

Dennoch waren die Bilder nach der OP erst ganz gut und die Ärzte waren zunächst auch zufrieden. Als mein Mann und ich Anfang Juli für eine Woche an der See waren, veränderte er sich. Eines Nachmittags setzten wir uns nach einem Spaziergang ins Café und er konnte plötzlich nicht mehr sprechen. Er versuchte mir etwas zu sagen, aber es waren nur Bruchstücke, die aus ihm herauspurzelten, Sätze ohne Sinn und einzelne Silben. Er war sehr verzweifelt und brach in Tränen aus. Ich nahm ihn in den Arm und versuchte ihn zu trösten, aber welchen Trost gibt es da?

Auch im Denken wurde er sehr langsam, wirkte teilweise mit allem sehr überfordert, desorientiert und vergaß alles Mögliche. Später stellte sich heraus, dass sich infolge der Behandlungen großflächige Ödeme im Kopf gebildet hatten. Ich weiß noch, wie wir zusammen mit dem Arzt die Bilder angeschaut haben und ich nur dachte, wie ein Gehirn so aussehen und dann überhaupt noch irgendwie funktionieren konnte. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wir waren beide total geschockt.

Dieser Schock hat bei meinem Mann dann eine schwere Depression ausgelöst. Zwar hat er Medikamente gegen die Ödeme bekommen, aber er konnte das nicht verarbeiten. Er litt vorher schon an Depressionen, aber danach ist er komplett seelisch abgestürzt. So nenne ich es mal. Er hat sich mit der Zeit total zurückgezogen, hat kaum mehr geredet, war entweder im Bett oder ist zur Ablenkung ziellos herumgefahren, sein Interesse für Alltägliches, für die Kinder, den Hund oder für mich ging gegen Null. Wenn man beschreiben sollte, wie der Ausstieg aus dem Leben aussieht, dann wahrscheinlich so.
Er hat gar nichts mehr gemacht, kein TV geschaut, nicht auf der Terrasse gesessen, keine Tasse weggestellt, keine Milch gekauft, den Hund nicht gekuschelt. Er hat den Kontakt zu uns, zu seiner Familie quasi abgebrochen. Er meinte, alles überfordere und stresse ihn. Wir haben ihn weitgehend in Ruhe gelassen. Ehrlich gesagt habe ich mich in meine Arbeit gestürzt, weil ich auch etwas brauchte, um mich abzulenken. Ich habe ihn natürlich dennoch ab und an angesprochen, aber Gespräche waren eigentlich nicht mehr möglich. Weil er es nicht konnte und nicht wollte. Ihn nervte alles.

Weil die Unordnung in seinen Klamotten ihn auch nervte, habe ich noch zusammen mit ihm einen neuen Kleiderschrank gekauft und ihn für ihn aufgebaut. Ich habe dafür 2 Tage gebraucht und ich hatte eigentlich den Eindruck, dass er sich freut, weil seine Kleidung nun übersichtlicher für ihn war.

Aber dann vor zwei Tagen hat er sich getrennt. Er meinte, dass sich bei ihm ein Schalter umgelegt habe und er so nicht mehr weitermachen könne und in seiner Heimatstadt (ca. 200km von uns) ein neues Leben beginnen wolle. Er brauche eine eigene kleine Wohnung und wolle einfach nur allein sein. Es würde ihn alles hier stressen.

Den Hund, den er wirklich über alles geliebt hat und mit dem er jahrelang eine innige Verbindung hatte, beachtet er nicht mehr. Der versteht auch die Welt nicht mehr und wartet stundenlang vor der verschlossenen Zimmertür. Er füttert ihn nicht mehr, behandelt ihn fast wie Luft.
Mit den Kindern, mit denen er 6 Jahre zusammengelebt hat, spricht er kein Wort mehr. Er ist ein völlig anderer Mensch. Den humorvollen, gesprächigen, liebevollen Mann gibt es nicht mehr. Es ist, als sei er seit der OP quasi aus ihm herausgestiegen und nicht wiedergekehrt.

Ich vermisse meinen ehemaligen Mann, den Menschen, der er war, schrecklich und ich kann nicht fassen, dass ich ihn verloren habe. Ich bin so schlimm traurig, dass er schon gegangen ist, obwohl er noch da ist. Aber es ist nur wie ein Abbild. Ich kann verstehen, dass er nun endgültig Abschied von mir nimmt. Aber ich verstehe diese Welt trotzdem nicht, in der ich am Ende doch wieder allein bin und die so grausam ist. Nicht nur zu mir, sondern natürlich auch zu ihm, zu anderen. Ich weiß nicht, warum das sein muss.
 
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Dabei
5 Nov 2007
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#4
....... Ich bin so schlimm traurig, dass er schon gegangen ist, obwohl er noch da ist. Aber es ist nur wie ein Abbild. Ich kann verstehen, dass er nun endgültig Abschied von mir nimmt. ......Aber ich verstehe diese Welt trotzdem nicht, in der ich am Ende doch wieder allein bin und die so grausam ist. Nicht nur zu mir, sondern natürlich auch zu ihm, zu anderen. Ich weiß nicht, warum das sein muss.
Liebe Badesalz,
jeder der deine Geschichte kennt, kann deinen Schmerz verstehen. Aber du bist jetzt nicht allein, soweit ich mich erinnere, hast du ein gutes Verhältnis zu deinen Kindern und bei deiner Arbeit eine Aufgabe, die deinem Leben weiterhin einen Sinn gibt. Das hast du die erarbeitet und wird dir immer bleiben.

Und noch ist dein Mann ja nicht weg. Und du weist selber, dass er allen in einer kleinen Wohnung weit weg nicht klar kommt. Er braucht dich, weil du ihm immer beigestanden bist, wenn es ihm wieder mal schlecht ging.

Und du musst jetzt noch besser lernen, auf dich zu achten, was für dich gut ist. Das wird dir Kraft geben. Du hast die Schwierigkeiten in deinem Leben immer gemeistert.
 
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Dabei
6 Mrz 2013
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#6
Liebe Badesalz, das ist sehr sehr schrecklich, es kommen einem die Tränen wenn man das liest ... Mehr kann ich im Moment gar nicht dazu schreiben.
 
Dabei
23 Nov 2016
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#10
Danke euch allen für eure Anteilnahme!

Es ist jetzt 2 Wochen her, dass sich mein Mann von mir getrennt hat. Ich komme leider mit der Entwicklung der Dinge gerade nicht mit. Ich habe seine Entscheidung seither nicht besser verstanden und bin immer noch komplett verwirrt.

Wenige Tage, nachdem er gesagt hat, dass er wegziehen will, war er allein zu einem Arztgespräch. Er schrieb mir danach eine WA, in der er mir das Ergebnis dieses Gesprächs mitteilte. Der in der letzten OP am Anfang des Jahres entfernte Tumor ist innerhalb weniger Monate komplett nachgewachsen und muss erneut operativ entfernt werden. Danach soll sich eine Chemo anschließen. Ein neuer OP-Termin wurde direkt terminiert, auf Anfang September. Die Ärzte vermuten, dass die Krebszellen mutiert sind und eine höhere Aggressivitätsstufe erreicht haben, weil es sonst nicht zu erklären wäre, dass der Tumor so schnell nachgewachsen ist.

Die Situation ist jetzt also die, dass mein Mann an der Trennung und dem Plan, wegzuziehen, festhält und sich auch entsprechend verhält. Er ist diese Woche in seine Heimatstadt gefahren und auf Wohnungssuche gegangen. Näheres weiß ich leider nicht, weil er kaum mit mir spricht, es sei denn, ich frage gezielt nach. Aber auch dann erhalte ich nur Ein-Wort-Antworten. Er schreibt nicht mehr über WA, wie er es früher immer getan hat. Wir streiten aber keinesfalls. Wie könnte ich auch mit jemandem, der neuerlich eine solch niederschmetternde Diagnose erhalten hat, streiten? Natürlich nehme ich Rücksicht auf ihn, spreche ihn ab und zu freundlich an, lasse ihm sonst aber seine Ruhe.

Er hat sein Abo im Sportstudio gekündigt und sich von seinem Psychotherapeuten und den hiesigen Ärzten verabschiedet. Nur den OP-Termin möchte er noch hier wahrnehmen. Es scheint offenbar niemanden zu wundern, dass er sich kurz vor der nächsten Hirn-OP, die ja nicht ganz ohne Risiko ist, nochmal eben von seiner Frau trennt, die ihn die letzten Jahre überall hinbegleitet hat, um in eine Stadt zu ziehen, in der er vor 30 Jahren zuletzt gewohnt hat. Wenn man bedenkt, dass er (mindestens) die nächsten 3 Monate nach der OP kein Auto fahren darf und er nach der letzten OP erst einmal seine Sprache zeitweise verloren, ein Taubheitsgefühl in der einen Körperhälfte sowie mehrere Infekte hatte, kann man sich schon fragen, warum kein Arzt und auch meine „Schwiegereltern“ nicht die Sinnhaftigkeit seines Tuns hinterfragen?

Meine Eltern hingegen kommen - genau wie ich - kaum aus dem Staunen heraus. Meinen Vater hat er gefragt, ob er ihm Geld leihen könne. Wofür wollte er ihm nicht sagen. Was in meinem Mann vorgeht, kann ich mir nicht erklären. Er fängt an, ganz viele Dinge auszusortieren und wegzuschmeißen. Während er sich früher von nichts trennen konnte und es des Öfteren ein Thema zwischen uns war, dass er zu viele Dinge hat, schmeißt er jetzt radikal alles weg. Auch Dinge, die ihm früher etwas bedeutet haben.

Ich weiß einfach nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Trauer, Ohnmacht und Wut. Ich bin nicht wütend auf ihn, weil ich ja sehe, wie verzweifelt er einen Weg sucht, den es im Grunde nicht gibt. Aber ich habe eine unglaubliche Wut auf das Schicksal und diese Krankheit. Ich nehme sein Verhalten, seine Distanz, nicht persönlich, aber fühle mich dennoch verlassen. Ich fühle mich ungerecht behandelt, aber kann es ihm nicht vorwerfen. Wenn ich ihn sehe und an früher denke, überkommt mich eine Traurigkeit, die ich gar nicht in Worte fassen kann, so stark ist sie. Ich versuche mich abzulenken, aber sobald irgendwo jemand über Krankheit redet, fängt mein Herz wild an zu klopfen und ich breche in Tränen aus. Ich habe mich noch nie so ohnmächtig und alleine gefühlt. Ich kann niemanden um Rat fragen, jedenfalls wüsste ich nicht, wen. Nichtmal die Ärzte können dazu etwas sagen. Ich weiß einfach nicht, wie ich mich richtig verhalten oder was ich tun soll. Ich kann einfach nur abwarten und irgendwie auf das reagieren, was kommt. Wie die nächsten Wochen oder Monate aussehen, kann ich nicht mal erahnen, ich kann nur sagen, dass ich tierisch Angst habe, dass es noch mehr weh tun könnte als jetzt schon.
 
Dabei
10 Aug 2023
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#11
Liebe Badesalz

Es tut mir wahnsinnig leid das zu lesen.
Die ganze Situation mit allen Umständen muss unheimlich schwierig und nervenzehrend sein und offenbar ist ein Ende aktuell nicht abzusehen.

Ich hoffe/wünsche Dir ganz fest, dass Du jemanden findest mit dem Du dich austauschen kannst. Oftmals hiöft das ja schon viel. Einen Rat habe ich leider nicht, ich wäre da in eimer ganz ähnlichen Situation wie du.

Weitherin ganz viel Kraft!
 
Dabei
6 Mrz 2013
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#12
Liebe Badesalz,
ich denke dein Mann ist komplett durch den Wind. Das was jetzt in ihm vorgeht kann wohl niemand verstehen, nicht mal er selbst. Ich vemute er wird hin und hergerissen zwischen einer (vermutlich eher irrationalen) Hoffnung und einem Abschied vom Leben.
Ich denke du kannst jetzt leider nichts machen außer für ihn verfügbar zu sein wenn und auf welche Weise er dich braucht. Und halte unbedingt Kontakt mit Menschen, die DICH da jetzt hindurchbegleiten.
Schreib gerne jederzeit uns hier.
 
Dabei
5 Nov 2007
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#13
Liebe Badesalz,
niemand weiß jetzt, was in ihm vorgeht und du kannst jetzt nichts für ihn machen. Aber du bist da, wenn er dich braucht.
 
Dabei
24 Sep 2017
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#14
Ich vemute er wird hin und hergerissen zwischen einer (vermutlich eher irrationalen) Hoffnung und einem Abschied vom Leben.
Ich denke du kannst jetzt leider nichts machen außer für ihn verfügbar zu sein wenn und auf welche Weise er dich braucht. Und halte unbedingt Kontakt mit Menschen, die DICH da jetzt hindurchbegleiten.
Das hier.
Es ist ein gruseliger Gedanke, und es wird ernst....
 
Dabei
6 Feb 2017
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#15
Liebe Badesalz,
Ich bin mir unsicher. Ich weiß nicht, ob das nicht alles zu endgültig ist, um sich rauszuhalten und zurückzuhalten und einfach da zu sein, für den Moment in dem er von sich aus auf dich zukommt und darum bittet. Ich hatte bei dir immer den Eindruck, dass du in schwierigen Zeiten auch mit Kraft daraus schöpfen konntest, für jemanden da sein zu können. So wie ich dich verstanden habe, vertiefst du dich auch gerade deswegen in die Arbeit, wenn dein Mann ausgrenzend wird.
Ich kann mich an Beiträge erinnern, da ist er nachts mit ich glaube Panikattacken hoch geschreckt und du hast ihn im Arm gehalten, bis er ruhiger wurde. In meiner Erinnerung waren das für dich kräftigende Momente.
Von seinem Verhalten ausgehend kann man natürlich nur schlussfolgern, dass er in Ruhe gelassen werden will. Und angesichts seiner Situation verstehe ich es auch, dass alle möglichen Menschen Verständnis für jedes komische Verhalten von ihm aufbringen. Und wäre ich seine Mutter, würde ich mich auch freuen, wenn er noch mal in meine Gegend und seine Heimat zurückzieht. Ich habe mal gelesen, dass kurz vor dem Tod die meisten Menschen nach ihrer Mutter fragen.
Aber ich denke, an deiner Stelle wäre ich egoistischer. Ich würde vielleicht nicht mit ihm streiten und ihn auch nicht am Auszug hindern, aber es wäre mir einfach zu endgültig, um mich komplett zurückzunehmen. Wann wirst du ihn wieder im Arm halten können, wann wirst du noch mal mit ihm spazieren gehen können oder ihm auch einfach nur beim aussortieren seiner Sachen helfen können oder sowas..?
Es ist natürlich super schmerzhaft, wenn er das alles abwehrt, aber ich glaube für mich persönlich würde sich zurückzuhalten mehr schmerzen als mich aufzudrängen und dann unerwünscht zu sein. Du kennst natürlich deinen Mann am besten, du kannst das am ehesten einschätzen, wie sich Tage und Stimmungen abhängig davon, wie du dich verhältst, entwickeln. Ich denke nur, ich kann nicht so klar sagen, dass "da sein wenn er sich von selbst meldet" für mich eine gute Option wäre. Nicht solange es noch unausprobierte alternativen gibt zumindest...
 
S

Schneeflöckchen

Gast
#16
Hallo liebe Badesalz!

Habe gerade durch Zufall deinen Beitrag gelesen und dieser ging mir sehr nahe.
Ich kann deinen Mann sehr gut verstehen und würde an seiner Stelle genauso handeln wie er.
Für mich klingt es so, als fühle er sich sehr hilflos und wolle dir nicht länger zur Last fallen wollen. Deswegen möchte er Abstand zu dir, damit du dich zum einen nicht mehr um ihn kümmern musst und zum anderen auch nicht mehr siehst, wie schlecht es ihm geht.
Und dass er so viel wegschmeißt, ist für mich ein Zeichen dafür, dass er bereits mit seinem alten Leben, also der guten [URL='https://abo.zeit.de/']Zeit[/URL] mit dir zusammen, abgeschlossen hat. Es tut ihm weh und er möchte sich vom Schmerz befreien, indem er die Erinnerungen entsorgt. Er hat keine Hoffnung mehr und möchte fortan so bescheiden wie nur irgendwie möglich leben.
Dies wären zumindest meine ganzen Gedankengänge und Gefühle, die mich dazu bringen würden, mich von meinem Partner zu trennen. Es hat kein bisschen mit dir zu tun, sondern nur mit seinem eigenen Schmerz.

Alles Gute für dich und ganz viel Kraft in dieser schwierigen Situation
 
Dabei
24 Sep 2017
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#17
Er ist diese Woche in seine Heimatstadt gefahren und auf Wohnungssuche gegangen. Näheres weiß ich leider nicht, weil er kaum mit mir spricht, es sei denn, ich frage gezielt nach.
Oh Mann, das ist echt frustrierend.. Könnte es sein, dass er in ein Hospiz ziehen möchte und nicht möchte, dass das jemand mitbekommt? Gerade wenn er nach den OPs besondere Hilfe gebraucht hat?
Das, was er jetzt tut und sagt, sollte nicht die guten Zeiten in deiner Erinnerung an ihn überschatten...
 
Dabei
23 Nov 2016
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#18
Danke für eure Beiträge, ihr Lieben.

Ich bin ziemlich verunsichert und finde es interessant, eure Meinungen zu lesen. Was mein Mann denkt und fühlt, ist natürlich nur Spekulation. Aber es beschäftigt mich natürlich und ich versuche, irgendwie einen Weg zu finden, mit der Situation zurecht zu kommen. Da helfen eure Beiträge. Ich kann es ja nicht mit ihm besprechen und möchte ihm auch nicht zeigen, wie sehr es mich mitnimmt und deswegen brauche ich ein Ventil, um meine Gedanken zu sortieren.

Für mich klingt es so, als fühle er sich sehr hilflos und wolle dir nicht länger zur Last fallen wollen. Deswegen möchte er Abstand zu dir, damit du dich zum einen nicht mehr um ihn kümmern musst und zum anderen auch nicht mehr siehst, wie schlecht es ihm geht.
Und dass er so viel wegschmeißt, ist für mich ein Zeichen dafür, dass er bereits mit seinem alten Leben, also der guten mit dir zusammen, abgeschlossen hat. Es tut ihm weh und er möchte sich vom Schmerz befreien, indem er die Erinnerungen entsorgt. Er hat keine Hoffnung mehr und möchte fortan so bescheiden wie nur irgendwie möglich leben.
Ich finde, liebe Schneeflöckchen, dass das tatsächlich am besten zu seinem Verhalten passt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass er sein bisheriges Leben hinter sich lassen will. Da ich ein Teil dieses Lebens gewesen bin, ist es ja nur konsequent, mich ebenfalls hinter sich zu lassen. Ich denke, er will sich auch nicht verpflichtet fühlen, weil er glaubt, dass er mir nichts mehr geben kann. was es genau ist, kann ich nicht sagen, aber er ist bemüht, jede noch so kleine Verbindung abzubrechen.

Es tut trotzdem sehr weh. Egal wie oft ich mir sage, dass ich Verständnis haben muss, ich kann es nicht ändern, es fühlt sich schlimm an. Aus welchen Motiven auch immer, am Ende will er mich nicht mehr in seinem Leben haben. Und da ich damit nicht gerechnet habe und er selbst bestätigte, dass dieser Entschluss sehr plötzlich kam, stehe ich nun da und muss damit zurecht kommen.

Ich bin mir unsicher. Ich weiß nicht, ob das nicht alles zu endgültig ist, um sich rauszuhalten und zurückzuhalten und einfach da zu sein, für den Moment in dem er von sich aus auf dich zukommt und darum bittet. Ich hatte bei dir immer den Eindruck, dass du in schwierigen Zeiten auch mit Kraft daraus schöpfen konntest, für jemanden da sein zu können. So wie ich dich verstanden habe, vertiefst du dich auch gerade deswegen in die Arbeit, wenn dein Mann ausgrenzend wird
Ich weiß nicht, wie ich auf Ausgrenzung reagieren soll, wenn nicht damit, mich auf meine Dinge zu konzentrieren? Was tust du denn, wenn du merkst, dass du ausgegrenzt wirst?

Im Übrigen werde ich auch von seinen Eltern ausgegrenzt. Ich kenne sie seit 8 Jahren und ich war immer freundlich zu ihnen. Jetzt reden sie kein Wort mehr mit mir. Ich verstehe nicht, warum. Es ist so, als würde ich plötzlich für sie nicht mehr existieren. Aber es ist einfach gar nichts zwischen uns vorgefallen. Mein Mann wird morgen nochmal operiert und möchte, dass ihn seine Eltern ins KH fahren. Heute Abend kamen sie vorbei und haben ihn zum Essen abgeholt. Früher sind wir immer gemeinsam Essen gegangen, wenn sie da waren. Ich habe Verständnis dafür, dass sie alleine mit ihm essen gehen. Aber sie reden kein Wort mit mir, keine Begrüßung, eben kein Wort, nichts. Er wohnt ja immerhin bei mir und wird auch nach der OP noch (erstmal?) bei mir wohnen, um sich zu erholen. Ich habe ihn die letzten Jahre immer unterstützt, es gab keinen Streit, ich habe ihn auch nicht hintergangen oder sonstwas Gemeines getan. Ich weiß nicht, warum sie nicht mit mir sprechen und mich offensichtlich meiden. Das trifft mich sehr. Ich versteh’s einfach nicht. Aber klar, dass ich kurz vor der OP keinen Streit suche und es dann eben akzeptieren muss.

Aber ich denke, an deiner Stelle wäre ich egoistischer. Ich würde vielleicht nicht mit ihm streiten und ihn auch nicht am Auszug hindern, aber es wäre mir einfach zu endgültig, um mich komplett zurückzunehmen. Wann wirst du ihn wieder im Arm halten können, wann wirst du noch mal mit ihm spazieren gehen können oder ihm auch einfach nur beim aussortieren seiner Sachen helfen können oder sowas..?
Es ist natürlich super schmerzhaft, wenn er das alles abwehrt, aber ich glaube für mich persönlich würde sich zurückzuhalten mehr schmerzen als mich aufzudrängen und dann unerwünscht zu sein. Du kennst natürlich deinen Mann am besten, du kannst das am ehesten einschätzen, wie sich Tage und Stimmungen abhängig davon, wie du dich verhältst, entwickeln. Ich denke nur, ich kann nicht so klar sagen, dass "da sein wenn er sich von selbst meldet" für mich eine gute Option wäre. Nicht solange es noch unausprobierte alternativen gibt zumindest...
Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was du meinst. Ich muss doch respektieren, wenn mich jemand nicht mehr in seinem Leben will. Ehrlich gesagt will und kann ich mich nicht aufdrängen, wenn sich jemand isoliert und ganz offensichtlich alleine sein und sich abgrenzen will. Selbst wenn es nur Symptom einer Krankheit ist, muss ich seinen Wunsch respektieren. Wenn er Ruhe braucht, dann kann ich mich nicht darüber hinwegsetzen.

Natürlich ist es keine gute Option für mich. Es ist sogar so krass für mich, dass ich im Grunde gezwungen bin, mich ebenfalls von ihm zu distanzieren. Es ist für mich unmöglich, freundlich, zugewandt, geduldig und respektvoll zu bleiben und ihn weiterhin zu unterstützen und in meinem Haus unterzubringen und ihn jeden Tag zu sehen, wenn ich mich NICHT emotional von ihm ablöse. Ich zerbreche sonst daran.
Deswegen vermeide ich es zurzeit auch, an die schönen Zeiten zu denken. Ich will keine schönen Erinnerungen. Später vielleicht, aber nicht jetzt. Ich würde den ganzen Tag nur heulen. Ich versuche mich so gut es geht mit anderen Dingen abzulenken. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun könnte. Und ja, es ist leider auch Tatsache, dass er eine Belastung für mich ist. Ich hätte das aber in Kauf genommen. Ist es tatsächlich besser, jemanden zu verlassen, damit man keine Belastung für ihn ist, obwohl der andere gar nicht danach gefragt wurde, ob er vielleicht diese Belastung lieber in Kauf und dazu stehen würde, als verlassen zu werden? Natürlich hat auch jeder das Recht, keine Belastung zu sein, wenn er das nicht sein will. Ist eben auch legitim.

Dennoch fühle ich all den Schmerz, den jemand fühlt, wenn 8 Jahre Beziehung zuende gehen, wenn man das Ende nicht wollte Und einen ungerechten Kampf verloren hat. Nur dass ich dennoch für ihn da sein muss, weil er bei mir wohnt und schwer krank ist. Ich muss also einen Weg finden, damit zurecht zu kommen. Wenn da jemand einen guten Tipp hat.

Oh Mann, das ist echt frustrierend.. Könnte es sein, dass er in ein Hospiz ziehen möchte und nicht möchte, dass das jemand mitbekommt
Nein, das kann ich ziemlich sicher ausschließen. Er spricht ständig davon, dass er nach OP wieder fit sein wird und ein neues Leben beginnen will. Er spricht so gut wie nie realistisch über seine Diagnose, auch gegenüber seinen Eltern nicht. Er versucht es so gut es geht zu verdrängen.
 
Dabei
6 Mrz 2013
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#19
Was du über die Situation schreibst, macht mich total perplex. Die Erklärung, dass es sich um einen Hirntumor handelt, und er sich deswegen so abartig verhält, ist offensichtlich zu einfach, denn das gilt ja nicht für seine Eltern:
Im Übrigen werde ich auch von seinen Eltern ausgegrenzt. Ich kenne sie seit 8 Jahren und ich war immer freundlich zu ihnen. Jetzt reden sie kein Wort mehr mit mir. Ich verstehe nicht, warum.
Die gehen quasi bei dir ein und aus und reden nicht mehr mit dir? Respekt, wie du dich zusammennimmst. Ich glaube, dass ich da schon mal ein "Was soll das denn bitte?!" hätte fallen lassen. Obwohl es ja nichts bringt, da hast du ja Recht.
Ist es tatsächlich besser, jemanden zu verlassen, damit man keine Belastung für ihn ist, obwohl der andere gar nicht danach gefragt wurde, ob er vielleicht diese Belastung lieber in Kauf und dazu stehen würde, als verlassen zu werden?
Das finde ich auch immer schlimm, wenn andere MEINE Entscheidung treffen. Aber gut, hier geht es tatsächlich um seine Perspektive, und vielleicht möchte er dir einfach nicht SO hilflos gegenübertreten.
Nur dass ich dennoch für ihn da sein muss, weil er bei mir wohnt und schwer krank ist.
Hat er das Ganze überhaupt zuende gedacht? Je nachdem wie die OP verläuft, wird er ja wohl nicht einfach danach umziehen können, oder?
Und du musst jetzt versuchen, deine Gefühle im Zaum zu halten, damit du nicht durchdrehst. Das ist wirklich Wahnsinn, man kann sich kaum was Schlimmeres vorstellen. Du kannst ja nun nicht einfach den Schalter umlegen.

Ich glaub dir/ euch bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten, wie er die OP übersteht. Vielleicht werden die Karten danach neu gemischt.
 
Dabei
23 Nov 2016
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#20
Die gehen quasi bei dir ein und aus und reden nicht mehr mit dir?
Nein, sie kommen nicht ins Haus. Obwohl ich ihnen das Betreten des Hauses natürlich nicht verboten habe. Ich hatte ja weder Streit mit ihnen noch mit meinem Mann (ich sage nicht Ex-Mann, weil das irgendwie schräg klingt).

Heute morgen beispielsweise sind Sie hergefahren, um meine Mann abzuholen. Es war noch früh und mein Sohn war draußen mit dem Hund unterwegs. Sie sind extra langsam gefahren, haben Abstand zu ihm gehalten und gewartet, bis er wieder im Haus war. Erst dann sind sie in die Einfahrt eingebogen, ausgestiegen und haben draußen gewartet. Sie haben also nichts zu meinem Sohn gesagt, nicht an der Tür geklingelt, sondern sind draußen geblieben. Mein Sohn ist 13 Jahre alt, immerhin kennen sie ihn seit 7 Jahren und er ist (war?) ihr Stiefenkel. Er hat ihnen nichts getan. Warum begrüßen sie ihn nichtmal?

Ich war in der Zeit im Haus, habe Frühstück für die Kinder gemacht und mit meinem Mann gesprochen. Ich habe ihm noch einmal gesagt, dass ich ihn - wie in den letzten Jahren immer - natürlich auch gern ins KH gefahren hätte, aber dass ich während der OP an ihn denke und fest die Daumen drücke. Ihm kamen die Tränen und er wollte, dass ich ihn in den Arm nehme. Das habe ich dann natürlich gemacht.
Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn abends besuchen würde, wenn er es möchte. Das wollte er wohl. Ich sagte ihm, dass ich eher gegen Abend kommen würde, weil ihn ja sicher erst seine Eltern am Nachmittag besuchen wollten. Er meinte daraufhin tatsächlich: „Ist mir doch scheißegal, was die wollen.“ Ich habe dazu nichts gesagt. Mir fiel dazu auch nichts ein. Ich habe ihm nur alles Gute gewünscht. Er war halt sichtlich mitgenommen.
Es war irgendwie in der Situation total komisch, dass ich nicht mit ihm fahre. Ich kenne ja mittlerweile den Weg, das KH (es ist ein sehr großes KH), die Ärzte, die Abläufe und wie es ihm die letzten Male ergangen ist. Seinen Eltern muss er alles erklären. Sie haben nicht mal ein Navi. Aber es war ja nicht meine Idee.

Als sie weg waren, habe ich die ganze Zeit überlegt, warum sie mich so ignorieren und jeden Kontakt meiden. Ich habe überlegt, ob ich irgendwas gemacht habe, was sie verärgert haben könnte.

Es tut einfach total weh, wenn man so behandelt wird. Wie eine Strafe für irgendwas. Aber für was? Als ob man es nicht wert wäre, dass man ein Hallo bekommt.

Ich hatte früher mal gedacht, dass man sich gegenseitig unterstützt, wenn es einem Familienmitglied so schlecht geht. Aus meiner Familie kenne ich das so. Dass man dann mehr miteinander kommuniziert, fragt, was der andere braucht oder Hilfe anbietet. Aber da wir ja jetzt getrennt sind, scheinen meine Schwiegereltern (ich weiß nicht, ob der Begriff „Eltern“ passend ist) überhaupt kein Interesse mehr an mir zu haben und mich nicht mehr zu kennen. Einfach so.
Ich meine, immerhin wohnt ihr einziger und nach wie vor schwerkranker Sohn bei mir. Das wird sich ja in den nächsten Wochen auch erst mal nicht ändern. Sie scheinen aber keinen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, wie das jetzt gehen soll.
Ich räume sein benutztes Geschirr in die Spülmaschine, hänge seine Wäsche auf, putze das Bad, werde Fahrten für ihn übernehmen müssen (nach der OP darf man 3 Monate nicht Autofahren), spreche ihm Mut zu, kümmere mich ums Haus und die Nebenkosten, gehe mit dem gemeinsamen Hund Gassi, versuche mit der Trennung klarzukommen und werde im Gegenzug von meinen Schwiegereltern wie Luft behandelt. Wenn ich das so schreibe, ist es so skurril, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll.

Jedenfalls sind mir dann doch Situationen eingefallen, wo ich anderer Meinung war als meine Schwiegereltern. Aber ich war nie respektlos ihnen gegenüber.

Ich habe sie nach der letzten OP am Anfang des Jahres darum gebeten, sich ein Smartphone anzuschaffen, weil es meinem Mann ein Herzensanliegen war. Er konnte phasenweise nicht richtig sprechen und das Telefonieren fiel ihm schwer. Aber dank Rechtschreibkorrektur ging das Texten über WA einigermaßen und er schrieb, wenn er sich danach fühlte. Auch mal ein Foto verschicken ging.
Seine Eltern wollten ihn nach der letzten OP nicht im KH besuchen. Stattdessen haben sie immer mich angerufen und ich habe ihnen erzählt, wie es ihm ging. Ich fand das aber belastend und keinen Dauerzustand, dass die Kommunikation über mich lief. Also habe ich ihnen gesagt, dass es wirklich eine Erleichterung wäre, wenn sie sich ein Smartphone anschaffen würden. Ich habe ihnen angeboten, es für sie einzurichten und ihnen die einzelnen Schritte zu erklären. Auch meine Kinder haben ihnen quasi „Nachhilfe“ in Sachen Handy angeboten. Mein Mann hat ihnen später sogar ein Handy gekauft. Aber sie wollten es nicht und haben das alles vielleicht persönlich genommen. Ich weiß es nicht.

Ich habe sie im vergangenen Jahr einmal angerufen und um Hilfe gebeten, weil ich ziemlich verzweifelt war. Das war kurz vor Weihnachten. Mein Mann hatte angefangen, zu viel zu trinken. Also regelmäßig Hochprozentiges. Ich konnte das nicht akzeptieren und es kam zum Streit zwischen ihm und mir. Ich habe ihm gesagt, dass es besser wäre, wenn er die Weihnachtstage bei seinen Eltern verbringen würde, weil ich meinen Kindern bestimmt kein Weihnachtsfest mit einem betrunkenen Partner zumuten wollte. Ich hatte seine Eltern kontaktiert und um Hilfe gebeten, weil ich nicht wusste, an wen ich mich wenden sollte. Aber die Reaktion war, dass sie sich nicht einmischen wollten und wir das untereinander zu klären hätten. Schließlich seien sie kein Hotel und würden ihn bestimmt nicht nehmen. Das haben sie mir so gesagt. Seither habe ich darauf verzichtet, sie um irgendwelche Hilfe zu bitten und sie in Ruhe gelassen.

Die letzte Situation, die mir einfällt, wo es zu einer Meinungsverschiedenheit kam, war im Frühjahr. Die Großmutter meines Mannes, zu der er ein enges Verhältnis hatte, ist verstorben. Mein Mann wollte zur Beerdigung, meine Schwiegereltern waren strikt dagegen und fanden, es sei zu anstrengend für ihn. Ich fand es ehrlich gesagt übergriffig von meiner Schwiegermutter, dass sie meinem Mann quasi die Teilnahme an der Beerdigung untersagte. Ich habe ihr dann deutlich gesagt, dass ihr Sohn ein erwachsener Mann sei, der selbst entscheiden könne, ob er an der Beerdigung seiner Großmutter teilnimmt oder nicht. Ich würde ihn hinfahren, wenn er hinwollte (Er hatte damals auch Fahrverbot). Wenn er das nicht wollte, würde ich das selbstverständlich ebenfalls respektieren, weil es allein seine Entscheidung sei. Sie hatte, glaube ich, nicht damit gerechnet, dass ich mich da positioniere und war beleidigt. Sie ist es nicht gewohnt, dass man ihr widerspricht. Aber ich dachte, das sei längst kein Thema mehr.

Du kannst ja nun nicht einfach den Schalter umlegen.
Ja, genau das ist es. Es gelingt mir nicht, mich so schnell auf die veränderte Situation einzustellen. Ich bräuchte dafür Zeit und Abstand. Für mich bedeutet das hier gerade einen enormen emotionalen Stress, aus dem ich nicht herauskomme. Ich schaffe es einfach nicht. Ungefähr so muss es sich anfühlen, wenn man vor den Trümmern seines Hauses steht und nicht weiß, wie man die Teile jemals wieder zusammenkriegen soll. Es ist ein unglaubliches Druckgefühl auf der Brust, so schlimm, dass einem davon schlecht wird. Man ist verzweifelt, weil seine Zukunft nicht einfach wie ein ruhiger warmer Nebel vor einem liegt, in den man vertrauensvoll hineingehen kann, sondern sie kommt wie eine Riesenwelle dunkel und bedrohlich auf einen zu und man fühlt sich zu klein und schwach, um gegen sie anzukämpfen. Man möchte am liebsten aufgeben, aber man weiß auch, dass das nicht geht. Es gibt keinen hellen Punkt, auf den man zugehen, an dem man sich orientieren könnte. Und man weiß nicht, wie lange dieser Zustand andauert, wann die nächste Katastrophe kommt. Es fühlt sich schrecklich an.
Ob es meinem Mann auch so geht?

Einen kleinen Hoffnungsschimmer habe ich aber doch gefunden. Nach langer Suche bin ich auf eine Selbsthilfegruppe für Hirntumorpatienten und Angehörige gestoßen und werde da hingehen. Vielleicht hilft es zu hören, wie andere damit umgehen. Ich kenne ja sonst niemanden, der ein ähnliches Problem hat. Ich hoffe, dass ein paar Leute kommen werden. Drückt mir die Daumen.
 
Dabei
22 Aug 2011
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#21
Liebe Badesalz, es tut mir so leid, dass das Schicksal euch nun doch mit voller Wucht getroffen hat. Und ich wünsche Dir die Kraft, damit fertig zu werden und auch Deinen Kindern die Stütze sein zu können, die sie jetzt wahrscheinlich brauchen.

Ich kann mir vorstellen, dass Du verzweifelt versuchst, Deinen Mann zu verstehen. Einen Grund zu finden, warum er so handelt. Aber ich fürchte auch, dass Du diesen Grund nicht finden wirst. Denn meiner Meinung nach handelt da nicht der Mann, denn Du jahrelang geliebt hast, sondern der Tumor. Dieses Scheissding hat die Kontrolle übernommen und verursacht ein Verhalten, das Dein Mann nie gezeigt hätte. Klar, es gibt verschiedene Arten, mit so einer Diagnose umzugehen. Manche Menschen suchen Halt bei Familie und Freunden, andere ziehen sich zurück und wollen lieber allein damit fertig werden. Aber auch mit letzterem Fall wäre sein Verhalten nicht komplett zu erklären. Die Veränderung ist einfach zu groß. Ich fürchte, dass der Tumor bereits zu viel von dem Mann, in den Du Dich verliebt hast, zerstört hat.

Warum Deine Schwiegereltern sich jetzt so komisch verhalten, ist die andere Frage. Trauer äußert sich bei jedem Menschen unterschiedlich. Du kennst ja sicher die Phasen des Trauerprozesses. Die treten nicht nur auf, wenn tatsächlich jemand verstorben ist, sondern auch schon, wenn man dies befürchten muss. Und eine dieser Phasen ist Wut - und die richtet sich oft gegen völlig unschuldige Ziele. Ich glaube, wenn meinem Kind so etwas zustoßen würde, wäre mein erster Instinkt "Er soll nach Hause kommen, ich kümmer mich um ihn". Und ich wäre wütend auf die Menschen, die sich in den letzten Jahren um ihn gekümmert haben, weil die das Ganze nicht verhindert haben. Mir wäre zwar bewusst, dass das Blödsinn ist, aber dieses Gefühl wäre einfach zu stark, ich würde es nicht wagen, den Menschen zu begegnen, auf die ich so wütend bin. Weil ich dann vielleicht Dinge sagen oder tun würde, die komplett dämlich und verletzend und ungerechtfertigt sind.

Ich weiß, es ist unmöglich, Deine Gedanken abzustellen. Auch Du trauerst. Du hast Deinen Mann verloren. Dass er physisch noch irgendwo da ist, ändert nichts daran - das, was ihn ausgemacht hat, was Du geliebt hast, ist weg. Und trauern ist so ziemlich das Schwerste, was ein Mensch durchstehen muss. Ich hoffe, Du findest die Kraft, diesen Prozess anzunehmen und durchzustehen. Ich hoffe, Du findest Menschen, die Dich dabei unterstützen. Vielleicht gibt es ja irgendwo eine Trauerberatung? Auch Notfall-Psychotherapien sind in solchen Situationen oft eine Hilfe. Denk daran: Dein Mann hat Dich nicht freiwillig verlassen. Du verarbeitest keine Trennung, Du verarbeitest einen Verlust. Und das tun auch Deine Kinder. Bitte nehmt jede Hilfe an, die ihr irgendwie finden könnt. Ich wünsche euch ganz viel Kraft.
 
Dabei
6 Mrz 2013
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#22
Ich glaube, dass es dich nicht weiterbringt, dir jetzt zu überlegen, womit du irgendwann vielleicht mal die Schwiegereltern gegen dich aufgebracht haben könntest. Ich denke darum geht es gar nicht, auch den Schwiegereltern nicht. Für alle ist das eine total gespenstische Situation, da denkt und handelt man ggf irrational.

Ich dachte mir zB dass seine Eltern jetzt darauf zurückfallen, dass das IHR Sohn ist, er sozusagen ihnen gehört, und dass SIE jetzt die Aufgabe und das Recht haben, ihn am Ende zu begleiten, so wie das am Anfang auch der Fall war. Da sie selber spüren, dass das Unfug ist, trauen sie sich nicht, dir das so zu sagen, und schleichen deswegen so komisch bei euch herum.

Wie gehen eigentlich deine Kinder mit all dem um? Redet ihr drei alleine darüber?

Einen kleinen Hoffnungsschimmer habe ich aber doch gefunden. Nach langer Suche bin ich auf eine Selbsthilfegruppe für Hirntumorpatienten und Angehörige gestoßen und werde da hingehen. Vielleicht hilft es zu hören, wie andere damit umgehen. Ich kenne ja sonst niemanden, der ein ähnliches Problem hat. Ich hoffe, dass ein paar Leute kommen werden. Drückt mir die Daumen.
Das finde ich eine sehr gute Idee, klar drücke ich dir dazu die Daumen!
 
Dabei
23 Nov 2016
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#23
Ich finde nicht, dass die eigene Trauer es rechtfertigt, einen anderen Menschen bewusst zu verletzten, indem man ihn wo es geht ignoriert. Das hat auch nichts mit irrationalem Handeln zu tun und da endet mein Verständnis tatsächlich.

Natürlich weiß ich, dass es auch für meine Schwiegereltern hart und traurig ist. Aber ich verletze sie auch nicht und immerhin haben ich die letzten Jahre mein Leben tagtäglich mit ihm geteilt und alles hautnah miterlebt. Ich habe ihn überall hinbegleitet und stand immer hinter ihm. Ich bin allein mit den Kindern und teile ja trotzdem nicht gegen sie aus. Ich habe mir gar nichts zu Schulden kommen lassen. Gar nichts. Meine Schwiegereltern wohnen 200km weit entfernt und sind zu zweit und Rentner ohne jede Verpflichtung. Sie sind noch fit und knapp ü 70. Da kann man ja wohl erwarten, dass sie so viel Selbstkontrolle haben, sich trotz ihrer Trauer nicht komplett mir gegenüber daneben zu benehmen. Sie sind so ignorant, dass sie damals weder sein Alkoholproblem noch seine - immerhin ärztlich diagnostizierten - starken Depressionen wahrhaben wollten. Ich nehme an, dass sie mich für die Trennung verantwortlich machen, weil sie seine Depressionen ignoriert haben. Ihr perfekter Sohn hatte in ihren Augen nie Probleme. Es waren immer andere. Dabei habe nicht ich mich von ihm getrennt. Niemals hatte ich davon gesprochen. Aber macht Ignoranz es besser? Rechtfertigt das ihr Verhalten mir gegenüber? Ist es deswegen weniger schlimm und verletzend? Ich finde es unverzeihlich, was sie da tun. Wie gesagt, da endet mein Verständnis.
 
Dabei
6 Mrz 2013
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#24
Ich finde nicht, dass die eigene Trauer es rechtfertigt, einen anderen Menschen bewusst zu verletzten, indem man ihn wo es geht ignoriert. Das hat auch nichts mit irrationalem Handeln zu tun und da endet mein Verständnis tatsächlich.
Natürlich rechtfertigt die eigene Trauer das nicht. Es ist nur eine Erklärung. Und das Typische an irrationalem Handeln (was auch keine Rechtfertigung ist), ist doch, dass man es eben nicht nachvollziehen kann.

Mach dir keine Mühe, diese Leute verstehen zu wollen. Das brauchst du doch nicht.
 
Dabei
23 Nov 2016
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#25
Ich war heute im KH, um meinen Ex-Mann nach der OP zu besuchen. Ich nenne ihn jetzt doch Ex-Mann, weil er in meinen Augen tatsächlich nichts mehr mit der Person gemein hat, die mal mein Mann war, sondern nur ein Abbild dessen ist. Vielleicht hilft es mir, Abschied zu nehmen. Die Person, die dort im Bett lag, war verbittert und hat mich kaum wahrgenommen. Ich denke, es macht keinen Sinn, dass ich dort noch einmal hinfahre.

Die Ärzte hatten sich im allerletzten Moment entschieden, den neuen Tumor doch nicht zu entfernen, angeblich weil es zu riskant war. Sie haben stattdessen nur eine Gewebeprobe entnommen. Was genau diesen Umschwung bewirkt hat, weiß ich nicht. Auch nicht, was es bedeutet.

Ich habe seine Eltern zufällig im KH angetroffen. Ich war extra spät hingefahren, aber sie saßen noch auf dem Flur. Ich habe sie gegrüßt und wollte es erst dabei belassen. Aber ich habe mich dann umentschieden und sie gefragt, warum sie nicht mehr mit mir reden und ob irgendwas vorgefallen ist, weil ich mir nicht erklären kann, warum sie mich plötzlich meiden.

Ich habe gleich gemerkt, das etwas nicht stimmt. Ich hatte es mir nicht eingebildet. Vor allem mein Schwiegervater hatte Mühe, seine Wut zu kontrollieren. Wir sind dann rausgegangen. Er hat mir unsägliche Vorwürfe gemacht. Ich kann das alles gar nicht wiederholen. Aber es lässt sich wohl so zusammenfassen, dass sie tatsächlich mir die Schuld am Zustand meines Ex-Mannes geben.

Mein Schwiegervater sagte mir Sachen wie, dass ich ja nur gearbeitet und mich nicht um meinen Mann gekümmert hätte, dass ich nie etwas Schönes mit ihm unternommen hätte, dass monatelang nur Krach und Baustelle bei uns gewesen sei und sein Sohn gar nicht richtig hätte genesen können nach der letzten OP, dass ich rücksichtslos sei und so weiter und so weiter.

Ich habe nicht schlecht gestaunt und ihn gefragt, wie er dazu komme, mir all das vorzuwerfen, obwohl er doch 200km weit entfernt wohnt, nur alle paar Monate kommt und das gar nicht beurteilen könne? Und dass ich mich sehr wohl all die Jahre um meinen Mann gekümmert und ihn in allem unterstützt habe. Dass ich ihn zu allen Terminen begleitet und ihm beigestanden habe, immer, wenn es ihm schlecht ging.

Mein Schwiegervater meinte daraufhin, dass das ja wohl selbstverständlich und das Mindeste sei und es nur meinen schlechten Charakter zeige, weil ich das überhaupt erwähnen und so hoch hängen würde. Außerdem kenne er eben seinen Sohn, viel besser als ich ihn jemals gekannt hätte und dass er sich im Gegensatz zu mir immer um ihn gekümmert habe.

Ehrlich, da habe ich schon nicht schlecht gestaunt. Aber die Sprache verschlagen hat es mir, als mein Schwiegervater tatsächlich zu mir sagte, dass sein Sohn ja nicht krank gewesen sei, bevor er mich kennengelernt habe. Erst danach sei er krank geworden. Ich habe ihn gefragt, was er damit sagen wolle? Ob ich etwa Schuld daran sei, dass er einen Hirntumor bekommen hätte? Das habe er nicht gesagt, meinte mein Schwiegervater, aber es sollte mir schon zu denken geben.

Es ist lange her, dass ich jemandem gegenüberstand, der so voller Wut und Feindseligkeit mir gegenüber war. Mein Schwiegervater hat sich so aufgeregt und ist verbal auf mich losgegangen, dass die Leute schon geguckt haben und ich dachte, dass nicht mehr viel fehlt und er tut was Unüberlegtes. Ich bin dann gegangen und mein Schwiegervater hat mir zum Schluss noch hinterhergerufen, dass ich mich damals bei ihm nicht mal für das Hochzeitsgeschenk bedankt habe, weil ich mir ja für alles zu fein wäre.

Das Dumme daran ist, dass man reflexhaft tatsächlich darüber anfängt nachzudenken, ob man sich ausreichend für das blöde Geschenk bedankt hat oder nicht. Als ob das jetzt einen Unterschied machen würde. Ich hatte unsere Hochzeit als ein sehr schönes Ereignis in meinen Erinnerungen abgespeichert. Ein Konflikt um ein Geschenk war bisher nicht unter meinen Erinnerungen. Was so alles an die Oberfläche gespült wird, wenn man seine Wut mal allen Dreck ordentlich aufrühren lässt.

Jedenfalls weiß ich jetzt, worüber sich meine Schwiegereltern und mein Ex-Mann offenbar in den Tagen, als mein Ex-Mann in seiner Heimatstadt war, unterhalten haben müssen. Sie haben eine gemeinsame Feindin ausgemacht. Wenn man schon den Tumor nicht bekämpfen kann, dann wenigstens mich. Da wäre ich allerdings im Traum nicht drauf gekommen.

Auch wenn ich weiß, dass ich meinen Ex-Mann aufrichtig geliebt habe und ihm nie irgendwas Böses angetan und mein Bestes gegeben habe, was eben dann nicht genug war, und ich ganz bestimmt kein perfekter Mensch bin, aber eben auch kein ganz schlechter, erschüttert es mich. Ich weiß jetzt, dass sie mich ignoriert haben, weil sie mich bestrafen wollten für ein Unheil, unter dem ich selber furchtbar leide.

Ich habe heute endgültig verloren. Ich habe endgültig meinen Mann und eine Liebe verloren. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn meine Schwiegereltern meine Verbündeten gewesen wären. Aber wenn jeder für sich kämpft und gegeneinander, gibt es am Ende nur Verlierer. Ich gebe es jedenfalls nun endgültig auf, ich habe keine Hoffnung mehr, dass sich noch irgendwas zum Besseren wenden könnte.
 
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Dabei
23 Nov 2016
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#26
Wie oft war ich in den letzten 6 Jahren in diesem Scheißkrankenhaus? Wie viele Stunden habe ich zusammen mit meinem Mann dort verbracht? Ich kenne jeden Flecken an der Wand der Neurochirurgie, der Radiologie und der Notaufnahme persönlich. So viele Stunden. Wie oft habe ich ihn in den letzten 8 Jahren in den Arm genommen, habe ihn beruhigt, wenn er Angst und Panik hatte, habe ihn gestreichelt, seine Hand gehalten, nachts im Ehebett, am Krankenhausbett, im Wartezimmer, habe zusammen mit ihm geweint, versucht das Beste zu sehen, habe ihn ermutigt, nach ihm gefragt, ihn geküsst, ihn mitgenommen, ihn gefahren, mich ihm anvertraut, und er sich mir, habe in seinem Arm gelegen, wie oft, wie oft? Wie oft haben wir gemeinsam im Garten gesessen, die Sonne genossen, den Kaffee geschlürft, dem Hund zugeschaut, den Kindern etwas erklärt, über seine Witze gelacht? Wie oft? So oft, so oft!

Ich verstehe es nicht, ich weiß nicht, wo er hingegangen ist. Warum es nicht genug war. Ich verstehe nicht, warum er mich verlassen und verraten hat. Ich verstehe nicht, warum es nicht genug war. Es war doch genug. Ich verstehe es einfach nicht.
 
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Dabei
23 Nov 2016
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#27
Mein Mann hat sich nicht von mir getrennt, weil er mich schützen will oder Angst hat eine Belastung zu werden oder sowas, sondern weil er mir die Schuld an seiner Erkrankung gibt. Es passt am besten zu seinem Verhalten und das seiner Eltern. Das ist jetzt ziemlich klar.
 
Dabei
24 Sep 2017
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#28
Oft genug! Oft genug für was du konntest, oft genug dafür, dass es niemand wagen sollte, dir Vorwürfe zu machen!
Aber, das sehe ich auch ein, Eltern, die ihren Kindern beim Sterben zusehen müssen, müssen nicht sachlich oder rational sein - sie dürfen dich jetzt aber auch nicht als Boxsack verwenden. Das, was der Vater gesagt hat, soll vorerst das letzte Wort sein, das du dir das angehört hast, war ein letztes Geschenk an deinen Schwiegervater, für das er sich nicht bedanken wird, aber es vielleicht irgendwann möchte. Du musst nicht mehr mit ihm reden, selbst wenn er sich entschuldigen möchte. Das ist nichts, was auf deinem Gewissen lasten muss, das sind die Probleme deiner Schwiegereltern allein, die einen leid tun können, aber aber ihren Weg gewählt haben.
Zu deinem Ex-Mann schreibe ich nochmal: er ist mehr als dieses Abbild, das er jetzt ist, versuche dem in deiner Erinnerung nicht so viel Gewicht zu geben.
Objektiv wissen alle, dass du keine Schuld an der Krankheit hast, sie wählen aber diesen leichten Weg auf deine Kosten und das können sie machen und müssen mit den Konsequenzen daraus leben. Nicht, dass du ewig zornig auf sie sein solltest, das vergiftet dich und ist es nicht wert, aber es ist ein Abschied.
 
Dabei
6 Mrz 2013
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#29
Es war sehr mutig von dir, dass du den Schwiegervater angesprochen hast, und es war gut. Ich hätte das auch getan.
Er hat dir den ganzen Dreck jetzt vor die Füße gekippt, jetzt weißt du Bescheid.

Vielleicht kannst du es - irgendwann - so sehen:
Du und dein Ex-Mann hattet eine schöne Zeit, die sicher hie und da auch mal getrübt war, wie das in allen Beziehungen der Fall ist.
Dann kam der Hirntumor, und sowas bedingt ganz sicher eine Wesensveränderung. Soweit ich mich erinnere, war es für dich und deine Kinder in der letzten (langen) Zeit ja auch recht schwierig mit deinem Ex. Das brauchst du nicht auszublenden, auch wenn es dir zunächst falsch erscheint, "einem Kranken etwas vorzuwerfen". Es ist aber nun mal Fakt. Und jetzt hat er sich mit seinen Eltern ein Narrativ ausgedacht, mit dem er meint, besser sterben zu können. Versuch, weiter Distanz zwischen euch zu bringen, dann kann es dir eher gleichgültig sein, mit welcher Methode er das versucht, weil du das dann nicht mehr mitbekommst. (Ich finde es übrigens auch ganz krass, wenn ich mir vorstelle, man hat einen Hirntumor, der als nicht mehr operabel betrachtet wird. Das muss einen geradezu verrückt machen. Ich könnte ehrlich nicht voraussagen, wie ich mich verhalten würde, wenn ich an seiner Stelle wäre.)

Jedenfalls denke ich, dass es jetzt in deinem Sinne wäre, wenn er möglichst bald dein Haus verlassen würde. Nachdem es keine OP gab, wird es ja auch keine aufwändige Nachsorge geben, also ist es vielleicht bald möglich, dass er zu seinen Eltern zieht.
 
Dabei
22 Aug 2011
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#30
Liebe Badesalz, es ist erschütternd zu lesen, wie Du von Deinen Schwiegereltern und Deinem Ex-Mann behandelt wirst. Es tut mir unendlich leid für Dich.

Aber ich lese auch ein paar gute Dinge in Deinen Zeilen. Deine Erkenntnis, dass die Person da im Bett im Krankenhaus nichts mehr mit Deinem Mann zu tun hat. Die Gewissheit, dass Deine Schwiegereltern tatsächlich völlig irrational agieren - und Du nicht das Geringste dafür kannst. Du musst das nicht verstehen und nicht tolerieren - aber Du kannst ihnen genauso verzeihen wie Du es einem geistig eingeschränkten Menschen verzeihen würdest, wenn er Dein Auto zerkratzt, weil er darauf Alienschleim entdeckt hat. Der Mensch, der mal Dein Mann war, und seine Eltern sind derzeit einfach nicht fähig, sich rational, anständig oder einfach nur höflich zu benehmen. Das musst Du weder verstehen noch hinnehmen, aber Du kannst es ihnen verzeihen. Und Dich zukünftig einfach so gut es geht von ihnen fernhalten. Auch wenn sie offensichtlich gerade einen Boxsack brauchen, auf den sie ihre Wut richten können - steh nicht da und lass auf Dich einschlagen. Er hat sich getrennt, Du bist ihm nichts mehr schuldig (außer vielleicht Trennunngsunterhalt). Besuch ihn nicht mehr, und sollte er in die Wohnung zurückkehren, lass ihn allein kochen, waschen und wenn nötig einen Pflegedienst beantragen. Je schneller er auszieht, desto besser für euch alle. Denk dran, Du und Deine Kinder habt auch ein glückliches Leben verdient. Ihr habt lange genug gelitten.

Ich bin auch wirklich nicht sicher, ob diese Gruppe für Angehörige von Tumorpatienten gut für Dich ist. Du bist keine Angehörige mehr. Du bist eine Frau, die ihren Mann verloren hat. Was willst Du in einer Gruppe, in der Menschen sitzen, die damit beschäftigen sind, einen Patienten zu begleiten? Das ist nicht mehr Deine Aufgabe.
 
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