Gesunde Beziehung zu kranker Person?

Dabei
6 Feb 2017
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#1
Liebes Forum,

Ich würde mich freuen, wenn ihr versuchen würdet mir folgende Frage möglichst allgemein zu beantworten:

Meint ihr, dass es möglich ist eine gesunde Beziehung zu führen mit einer Person, die selbst nicht gesund ist?
Wenn ja: welche Rahmenbedingungen müssten eurer Ansicht nach erfüllt sein, um das zu ermöglichen?

Um es etwas zu begrenzen: Mich interessieren vor allem die in diesem Forum (meinem Gefühl nach) am häufigsten erwähnten Krankheiten: Borderline, Depression, Narzissmus.

Ich weiß, dass es darauf keine allgemeingültige Antwort gibt und jeder Einzelfall anders ist.
Mich würden trotzdem eure Denkansätze dazu interessieren.

Ich hoffe auf Feedback ;)
 
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Dabei
3 Jan 2019
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#2
Meint ihr, dass es möglich ist eine gesunde Beziehung zu führen mit einer Person, die selbst nicht gesund ist?
Nein!

Möglicherweise kann der Partner viel ausgleichen, wenn dieser gesund ist. Es kann allerdings genau so gut geschehen, dass der "Gesunde" mit 'runtergezogen wird und dann selbst "krank" wird.

Ich wehre mich ein bisschen gegen diese Unterscheidung "gesund - krank". Wenn ich merke, dass mich eine Beziehung dauerhaft herunterzieht und mir nicht gut tut, muss ich sie beenden. Selbstschutz!

Du kannst es auch Egoismus nennen. Positiver Egoismus. Ich schade niemandem, aber ich kann auch nicht weiter helfen, also ziehe ich mich zurück. Hat für mich auch etwas mit Selbstliebe zu tun.

Vielleicht relativiert sich alles, wenn der Partner in Therapie ist (Borderline, Depression, Narzissmus), aber sicher weiß ich das nicht. Soviel ich weiß sind diese Krankheiten nicht wirklich heilbar.
 
Dabei
13 Jul 2015
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#3
Hi idkat,
ich glaube es ist möglich. Vor allem, wenn in Aussicht steht (oder der Wille da ist) von der kranken Person, auch dazu beizutragen dass der Partner (oder andere enge Bezugspersonen) nicht so stark durch die Situation belastet wird.
(Borderline, Depression, Narzissmus), aber sicher weiß ich das nicht. Soviel ich weiß sind diese Krankheiten nicht wirklich heilbar.
Es kommt ganz darauf an. Depressionen sind sehr wohl heilbar. Teilweise reicht Menschen schon der (tiefsitzende) Grund, warum sie sich so fühlen um aus der Depression herauszukommen. Manchmal braucht es auch Medikamente oder andere Formen von Therapien. Bei Borderline und Narzismuss kenne ich mich nicht so gut aus, aber ich hab mal ein Interview mit einer Psychologin gelesen (Dr. Greenberg in New York) die fast ausschliesslich mit Narzissten arbeitet. Sie beschreibt, dass im zuge der Therapie auch viele schaffen, einen anderen Umgang mit dieser Persönlichkeitsstörung (schreckliches Wort) zu finden- sowohl für sich, als auch für ihre Mitmenschen.
Ich zitiere sie mal:
Narcissistic people often struggle with their careers, relationships, and mental health issues. However, Narcisstic personality disorder can be treated to help the person liva a normal healthy life."

Ich glaube, dass der Partner sich seiner Krankheit bewusst ist, wäre für mich aber essentiell.

Ein Exfreund von mir hatte auch stark mit depressiven Phasen zu kämpfen. Meine beste Freundin auch.
Bei ihr hab ich immer das Gefühl, ich kann mit ihr zusammen diese triste Zeit durchwandern, also - wirklich, es fühlt sich an, wie in einer sehr kalten und kargen Landschaft wandern zu gehen. Aber wandern macht trotzdem Spass, und auch eine karge Landschaft ist interessant. Dabei lässt sie mich eben auch mitgehen. Sie schliesst mich nicht davon aus wie es ihr geht, und ganz wichtig glaub ich, versuche ich auch nicht ihr zu helfen, dass es ihr besser geht. Ich hab auch nie das Gefühl, dass sie das erwartet. Es tut mir leid, dass sie sich so fühlt, aber ich weiss auch, dass es wieder vorbei geht. Je nach schweregrad kann ich mir aber auch vorstellen, dass es nicht mehr so leicht ist bei sich zu bleiben. Bei meinem Exfreund war es ähnlich. Je schlechter es ihm ging, desto mehr Abstand habe ich gebraucht. Wenn darunter noch das Vertrauen da ist, dass die andere Person auch alleine klarkommt und die Beziehung noch immer will, muss es einen als gesunden Partner nicht so stark belasten- und dieser Abstand kann dann eben auch gut sein.

Ich glaube die Frage ist auch - bleibt über eine längere Zeit noch genug da in der Partnerschaft, das einem Energie gibt, einen Inspiriert und mit dem man wachsen kann? Also neben der Erkrankung.
 
Dabei
5 Jun 2015
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#4
Liebe Idcat
vor ein paar Tagen hatte ich ein langes Gespräch mit einer Frau.
Sie hatte 50 Jahre lang ihren Mann gepflegt, der im Rollstuhl saß.
Bevor sie geheiratet hatten gab es eine unklare Diagnose, aber es war sicher, das da etwas auf die Beiden zukommen würde, was nicht den Rahmen einer normalen Ehe passt.
Ihr Mann ist nun seit drei Jahren tot und sie trauert noch immer sehr. Sie erzählte wie innig und wie besonders ihre Beziehung auch von ihren drei gemeinsamen Kindern erlebt worden ist..
Mich hat diese Frau sehr beeindruck.
Was ist eine gesunde Beziehung?
Für mich ist das eine Beziehung in der ich in einem lebendigen Austausch mit meinem Partner stehe.
Ein Partner der mich „ erkennen“ will und verstehen.
Wichtig ist für mich da auch die Möglichkeit neue, befriedigende und bereichernde Erlebnisse mit einander zu teilen.
Was die einzelne Person sonst noch individuell von einer Partnerschaft braucht ist enorm unterschiedlich.
Und hängt von ihrer Herkunft ihrer Veranlagung und ihren Neigungen ab.

Ich glaube, das es sowieso immer schwieriger wird, in unserer Zeit langfristige Beziehungen zu führen.
Der Anspruch an den Partner/ die Partnerin wird immer höher und es fehlt an guten Vorbildern.
Da führen schon kleinere Kontoversen und unterschiedliche Temperamente, wie auch die rasch aufkommende Langeweile zu Abbrüchen.
Ich glaube das es eine große Herausforderung ist, bei jemanden zu bleiben, der in irgend einer Form ein Handicap hat.
Ich glaube aber, das es viele Menschen gibt, die diese Herausforderungen annehmen und meistern.
Ich meine aber nicht, das man das aus irgend einem Gefühl aus Verpflichtung machen darf,
Das würde die eigene Situation auf Dauer unerträglich machen.
Wenn es nicht, aus diesem Gefühl von Zugewandtheit ganz von selbst passiert, dann ist es für beide meines Erachtens
zu viel Frust und keine Bereicherung.
 
Dabei
5 Jun 2015
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#5
Vor meiner derzeitigen Beziehung hatte ich eine intensive Freundschaft zu einem stark depressiven Mann.
wir haben zwar eine beziehungsähnliche Situation gehabt, aber er hat sich aus Angst vor seinem Unvermögen nicht darauf eingelassen. Ich habe ihn verlassen, da mir die sexuelle Komponente gefehlt hat. Nach einer stürmischen, aber kaotischen Anfangsphase hat er sich zurückgezogen, aber wir schliefen häufig gemeinsam.

Mein derzeitiger Freund reagiert nur in Konfliktsituationen und bei Überforderung depressiv.
Und die beziehen sich überwiegend auf zwischenmenschliche Kontakte.
Seine Rückzüge werden aber immer kürzer und sein Leid bekommt er immer besser in den Griff.
Er hat seine künstlerischen Hobbys wieder aufgenommen und ist die meiste Zeit sehr entspannt.
Wir wissen beide, das es durch mein Vertrauen und meine Unterstützung so ist, wie es ist.
Und er ist mir sehr dankbar dafür.
Da ich aber meinetwegen bei ihm bin, brauche ich keine Dankbarkeit.
 
Dabei
9 Mrz 2020
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#6
Hallo Idkat (so nennt man dich ja hier ;))

Die Frage ziehlt ja auf psychologische Erkrankungen.

Ich würde hier klar eine Trennung machen zwischen Depressionen und Narzissmus/Borderline. Körperliche Erkrankungen möchte ich hier ausschliessen.

Depressionen sind i. d. R. gut behandelbar bzw. medikamentös einstellbar. Die Krankheit verläuft in Schüben und hier bedarf es eines aufmerksamen Partners, rechtzeitig einen solchen zu erkennen und "Gegenmassnahmen" einzuleiten (z. B. Medikamente).

Narzissmus & Borderline sind eher Verhaltensweisen, statt einer tatsächlichen Erkrankung wie z. B. Depressionen (Stoffwechselstörung). Daher gibt es z. B. auch narzisstische Borderliner.

In wie weit dies in einer Partnerschaft funktioniert, hängt vom Einzelfall ab. Es gibt sehr viele Spielarten des Narzissmus und dieser ist nicht immer sofort ersichtlich. Daher können Beziehungen zu einem narzisstischen Partner durchaus lange halten.
Dies gilt auch für Borderline - v. a. die "Up and down" Phasen sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. Auch lernen die Betroffenen dies mit zunehmendem Alter geschickt zu verbergen.

Der jeweilige Partner zum Narzissten/Borderliner hierzu spielt ebenfalls eine Rolle. Oft finden Narzissten/Borderliner fast "blind" immer den passenden Partner dazu. Meist sind dies Partner, die ebenfalls ein vermindertes Selbstwertgefühl haben - jedoch eher dependend, also abhängig geprägt sind.
Beide (der Narzisst/Borderliner und das jeweiligen Gegenstück (Partner) ist jedoch eines gemeinsam: beide suchen Anerkennung und meinen, diese in einer/der Beziehung zu finden. Beide auf ihre Arten: der Narzisst in seiner "grossartigkeit", der abhängige Partner in der Beachtung durch den Narzissten selbst.

Das Ganze kann funktionieren, solange beide sich gegenseitig ihrer jeweiligen "Zufuhr" an Beachtung geben.

Meist ist es jedoch so, dass entweder der Narzisst irgendwann genug hat von der "Abhängigkeit" des Partners und er sich neuen Bestätigungen zuwendet (sprich: fremd geht), oder der abhängige Partner das "Spiel" des Narzissten durchschaut, keine Anerkennung mehr erteilt oder aber sich persönlich entwickelt (raus aus der Abhängigkeit).

Daher: es kann durchaus funktionieren, mit einem solchen Partner dauerhaft zusammen zu sein.
Aber: Die "Kunst" in diesem Spiel ist es, den Narzissten/Borderliner zu erkennen - denn diese aben geschickt gelernt, sich zu tarnen.
 
Dabei
31 Jul 2011
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#7
Ich würde es mal so sagen , zumindest braucht man einen starken Partner, der das alles mit dir zusammen durch macht.

Meine Nichte leidet an einer Borderline Störung und es ist schon wahnsinnig schwierig mit ihr umzugehen, als Familienmitglied , als Partner muss ich erst garnicht von anfangen. Sie hatte bis jetzt erst eine Beziehung und die war wirklich nicht sehr angenehm mit anzusehen. Er musste all ihre Phasen miterleben, von ganz normal bis über Selbstmordversuche, selbstverletzungen , Wutausbrüche und himmelhoch jauzenende Liebesschwüre oder Ideen . Das hat die Beziehung auf Dauer nicht ausgehalten. Sie hat immer so Phasen wo es ihr gut geht und dann wieder Phasen wo man nur ein falsches Wort sagen muss und sie explodiert. Ich rede jetzt nicht von anschreien oder so, sondern wirklich von Gegenstände werfen und andere willentlich verletzen zu wollen, sich selbst eingeschlossen.


Meist fixieren sich Menschen mit Borderline auf eine ganz bestimmte Person die dann auch nur noch für sie da sein muss und erhalten sie Ablehnung von der Person reagieren sie ihre Wut an andere aus.
Und sie sehen nie ihre eigenen Fehler sondern immer nur die Fehler bei anderen. Mit vernünftigen Argumenten kommt man da nicht weiter. Leider ist Borderline nicht heilbar, man kann die Symptome nur lindern .Allerdings muss man sich da auf eine Therapie einlassen und soweit ist sie noch nicht. Sie ist 21 und uns sind die Hände gebunden wir können nichts machen ,meine Schwester hat so vieles versucht aber sie ist für sich selbstverantwortlich.

Also ich denke zumindest mit einem Borderline Erkrankten kann man keine " normale " Beziehung führen.
 
Dabei
6 Feb 2017
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#8
Lieben Dank euch! :) Vorab möchte ich bemerken, dass ich mich auch nie wohl dabei fühle Worte wie "krank", "gesund" und "Störung" zu verwenden. Ich mache es der Einfachheit halber hier trotzdem.

Ich liste mal die Rahmenbedingungen auf, die ich herausfiltern konnte:
1. Beide müssen es wollen ( - das habe ich aus fast allen Antworten herausgelesen)
2. Der Kranke muss sich seiner Krankheit bewusst sein
3. Es darf keine gegenseitige Erwartungshaltung vorliegen
4. Man darf sich nicht ausgrenzen
5. Neben der Erkrankung muss es genug geben, was inspiriert, Energie spendet und dadurch beide in der Beziehung "hält"
6. Die jeweiligen Bedürfnisse beider Partner müssen gestillt werden
7. Gegenseitiges Verständnis muss vorliegen ( - das kam auch in fast allen Antworten so raus)

Korrigiert gerne, falls ihr dem widersprechen oder es ergänzen wollt.

@Titlis : Du sagtest, dass Narzissten es verstehen sich zu tarnen. Wie meinst du das? Wie machen sie das?

@meli : Du meintest, dass es einen starken Partner braucht. Ich habe es schon beobachtet, dass Personen starke Partner von sich abgewiesen haben und stattdessen mit Menschen zusammengekommen sind, die ebenfalls ihr Paket an Problemen hatten. Diese Beziehungen waren dann lauter, teilweise gewalttätiger und insgesamt ungesünder als die Beziehung davor, aber sie war mehr "auf Augenhöhe". Kennst du das auch? Und wenn ja - würdest du da einschreiten, wenn jemand, der dir nahe steht, im Begriff ist eine solche Entscheidung für sich zu treffen, oder würdest du ihn machen lassen?
 
Dabei
6 Mrz 2013
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#9
Tja, wer führt schon eine durch und durch gesunde Beziehung? Wohl die wenigsten.

Bei den von dir genannten Krankheiten sollte man unterscheiden zwischen solchen, die zu Bösartigkeit führen (trifft auf jeden Fall auf Narzissmus zu) und solchen wo das nicht der Fall ist ( trifft auf die mir bekannten Fällen von Depression zu).

Mit einem Narzissten kann man mE überhaupt keine partnerschaftliche Beziehung führen und ich würde auch niemandem raten es zu versuchen.
Bei Depressionen ist das was anderes. Wie schon geschrieben wurde, kann es da hilfreich sein wenn der Kranke anerkennt dass er krank ist und was dagegen unternimmt. Dann sind das für den Partner erschwerte Bedingungen, aber andere Partner haben andere Probleme. Ist dann eine persönliche Entscheidung ob es einem die Anstrengung wert ist. Da kenne ich auch Fälle wo das funktioniert.
 
Dabei
23 Nov 2016
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#10
Liebe Idkat,

ich möchte dir gerne aus persönlicher Sicht antworten, denn eine generelle Antwort kann ich dir auch nicht geben.

Beide Partner, mit denen ich bisher lange Beziehungen eingegangen bin, hatten bzw. haben mit solchen Erkrankungen, wie du sie nennst, zu tun. Mein jetziger Partner hat massiv unter Angstzuständen und Depressionen gelitten, mein Ex-Mann hatte Verhaltensweisen, die stark an Borderline erinnerten. Im Gegensatz zu meinem jetzigen Freund, hat mein Ex aber nie einen Therapeuten gesehen, daher ist sein Verhalten meine "Interpretation", es gibt keine ärztliche Diagnose.

Wie oben schon gesagt wurde, sind Angstzustände und Depressionen heilbar, deswegen würde ich da auch klar trennen.

Um es vorweg zu nehmen: ich selbst bin heute davon überzeugt, dass man keine dauerhafte, gesunde Paar-Beziehung zu jemandem haben kann, der Borderline-Verhalten zeigt. Auch mit einer narzisstischen Störung ist das nicht möglich.

Als ich meinen Ex-Mann kennen gelernt habe, war ich geflasht von ihm. Er sieht sehr gut aus, ist extrem charmant, wortgewandt, und vereinnahmend. Er ist aber auch extrem manipulativ und weil er selbst an das glaubt, was er anderen Menschen vorlügt (mir fällt kein besseres Wort ein), glauben ihm auch die Leute. Nicht nur ich habe ihm alles Mögliche geglaubt, auch meine Eltern, meine Geschwister und meine Freunde. Es gab nur wenige, die misstrauisch waren, und denen hätte ich natürlich wiederum nicht geglaubt. Ich habe später erfahren, dass er sogar bei zwei Banken so überzeugend war, dass die ihm Kredite gegeben haben, ohne dass es die von ihm dargelegten Sicherheiten gegeben hätte.

Warum merkt man so etwas nicht? Ich hatte keinerlei Erfahrung damit. Ich war verliebt, ich habe für alles Mögliche, was mich hätte misstrauisch machen sollen, Erklärungen gefunden. Ich wollte unbedingt, dass alles schön ist. Ich wollte, dass meine Beziehung eine ganz Besondere ist. Ein wichtiger Punkt ist auch: Wir erkennen Lügen nur dann, wenn sich derjenige, der lügt, bewusst ist, dass er lügt. Denn nur dann ergeben sich die kleinen Ungereimtheiten in Mimik und Ausdruck, die uns eine Lüge erkennen lassen. Aber mein Ex hat sich seine Wahrheiten selbst zurecht gelegt, selbst daran geglaubt und war deswegen so überzeugend.

Mit der Zeit kamen natürlich auch bei ihm die Wutausbrüche, Beschimpfungen und Herabwürdigungen. Aber auch die habe ich zunächst nicht als so schlimm empfunden, wie sie in Wirklichkeit waren. Warum nicht? Weil ich ihm geglaubt habe, dass ich daran irgendwie selbst schuld bin und es hätte vermeiden können, wenn ich mein Verhalten so ändere, dass er eben nicht mehr wütend werden muss.

Das hat natürlich nicht funktioniert. Es wurde immer alles nur schlimmer, nie wurde es besser, egal, wie sehr ich mich angestrengt habe, es ihm recht zu machen.

"Aufgewacht" aus meinem seltsamen Hörigkeits-Zustand bin ich erst, als es mir so schlecht ging, dass ich eine Familientherapeutin aufgesucht habe. Da dachte ich immer noch, meine Ehe sei gut und ich hatte keinen Schimmer, warum es mir so schlecht ging.
Bis sie mir ganz direkt sagte: "Frau X, sie haben ja ständig Angst vor Ihrem Mann!"
Das war mir bis dahin nicht bewusst gewesen. Ich habe es einfach verdrängt (ja, das geht).

Aber ab dem Zeitpuntk habe ich mich emotional von meinem Ex immer weiter entfernt.

Was ich damit sagen will: Ja, natürlich kann man über viele Jahre eine solche Beziehung führen (bei mir waren es zwölf Jahre). Aber im Grunde bin ich doch nur so lange in dieser Beziehung geblieben, weil ich selbst ein Problem mit meinem Selbstwert, mit anerzogenen Glaubenssätzen usw. hatte. Eben die berühmte Co-Abhängigkeit.

Mein jetziger Lebensgefährte schleppt auch seine Pakete mit sich herum, wie du ja evtl. noch weißt.

Mir ist klar, dass ich der Charakter bin, der ich bin und mich wahrscheinlich deswegen für solche Partner entscheide. Ich fühle mich sehr stark für alles Mögliche verantwortlich, denke, dass ich alles regeln müsste, damit alles perfekt klappt und ich mein Leben in den Griff bekomme. Ich kämpfe ständig gegen die imaginäre Angst, dass mir die Dinge entgleiten. Das wird meine lebenslange Baustelle sein.

Aber es gibt doch einen wesentlichen Unterschied zwischen meiner jetzigen und meiner früheren Beziehung. Mein jetziger Partner würde mich nie mit Worten herabwürdigen, niemals sein Hand gegen mich erheben. Er würde nie meine Grenzen antasten. Er achtet und respektiert mich. Genau wie ich mich mittlerweile selbst. Trotz allem fühle ich mich sehr viel freier und unabhängiger in meiner jetzigen Beziehung, und mehr "gesehen".

Man entscheidet sich nie ohne Grund für einen Partner. Man kann auch aus Beziehungen, die einem nicht gut getan haben, viel lernen. Manchmal denke ich, dass man letztlich auch immer eine Beziehung mit sich selbst eingeht.

Wahrscheinlich passt mein Text jetzt wieder gar nicht mehr zu den vorangegangen ...

Vielleicht verrätst du uns noch, warum dich diese Frage so interessiert, Idkat?

LG, Badesalz
 
Dabei
31 Jul 2011
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#11
Hallo Idkat

Meinst du mit abraten einen gesunden Menschen?

Ich bin generell niemand der jemanden in eine Beziehung rein redet, würde ihm aber zumindestens meine Bedenken mitteilen.

Jeder weiss das wenn man sich verliebt man in der ersten Zeit ne rosarote Brille auf hat und sich auch garnicht rein reden lässt sondern damit eher noch das Gegenteil erreicht.

Also lass ich sie machen und wenn es nicht funktioniert, stehe ich auch nicht mit erhobenen Finger da so nach dem Motto ' ich habe es dir ja gesagt" Ich bin dann einfach für diese Person da .

Ich finde jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen und niemand sollte sich da einmischen, ist meine Meinung.

Nur sollte man sich bewusst sein, das Liebe nicht alles heilen kann.

Lg meli
 
Dabei
6 Feb 2017
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#12
@Badesalz : Schön, mal wieder von dir zu lesen. :) Hast gefehlt. Und danke für deinen Beitrag. Ich frage aber nur so aus Neugier. ;)
Wo, würdest du denn sagen, liegen in der Beziehung zu deinem jetzigen Freund die Herausforderungen, die andere Paare vielleicht nicht so kennen?

@meli : Ich meinte die "kranke" Person. Angenommen sie hat einen tollen Partner und überlegt sich aus schlechtem Gewissen ihm gegenüber von ihm zu trennen. Würdest du ihr da reinreden, oder es ihr überlassen?
 
Dabei
31 Jul 2011
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#13
Ich würde es ihr überlassen, den egal ob krank oder nicht, es ist ihr Leben, ihre Entscheidung.

Mal davon abgesehen das wie zb bei meiner Nichte , die sich auch gar nicht da rein reden lassen würde.

Wenn die sich was in den Kopf gesetzt hat, dann will sie das auch durchziehen.Dann ist die in so einem hoch das man sie gar nicht bremsen kann. Geht das aber schief, ändert sich ihre Stimmung von jetzt auf gleich und sie verfällt in Selbstmitleid, gibt allen anderen die Schuld nur ihr selbst nicht.
Daher ist es im Prinzip egal wie du es machst, es ist immer falsch in ihren Augen.

Das hat mir im Laufe der Jahren auch klar gemacht das ich mich nicht einmische.
Weder bei gesunden noch bei Kranken.
 
Dabei
15 Jun 2019
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#15
Warum scheut man sich eigentlich immer so davor, psychische Beeinträchtigungen als Krankheiten zu bezeichnen? Psychische Störungen sind ganz gewöhnliche Krankheiten und die meisten von ihnen sind, die richtige Behandlung vorausgesetzt, behandel- oder sogar heilbar.

Die Krankheitsbilder sind bei den verschiedenen Erkrankungen aber so unterschiedlich, dass, glaube ich, man wohl keine pauschale Aussage drüber treffen kann, ob man mit so einer Störung eine gesunde Beziehung führen kann. Es kommt halt sehr auf die Krankheit und wahrscheinlich auch auf jeden einzelnen Fall an; wie man miteinander umgeht und vor allem auch, was man als "gesunde Beziehung" bezeichnet.

Ich selber kenne nur einen Fall aus meinem etwas weiteren Umfeld. Meine Mam hat eine Arbeitskollegin, deren Freund vor etwa zwei Jahren unter einer sehr schweren Form von Depression litt. Er hat sich wohl irgendwo online auf einer Dating-Plattform angemeldet, um quasi Selbstbestätigung zu bekommen und seinen "Marktwert" zu checken. Seine Freundin hat es natürlich herausgefunden und danach war das Vertrauen hinüber. Er hat dann beteuert, dass er nie wirklich die Absicht hatte, sie zu betrügen, und das glaube ich ihm auch. Aber das Vertrauen war erst mal zerstört und nach und nach kam dann ans Licht, dass er ein ernstes Problem hatte. Er hat das dann auch recht schnell eingesehen und wahrscheinlich gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen. Er hat seinen Job gekündigt, in dem er sowieso unglücklich war und sich in eine psychische Klinik begeben.
Viel Kontakt habe ich nicht zu ihm, aber soweit ich weiß, geht es ihm inzwischen wieder gut und die Beziehung hat gehalten. Als ich die beiden das letzte Mal vor ein paar Wochen getroffen habe, wirkten sie beide recht glücklich und vertraut miteinander. Aber der Schein kann nach außen natürlich schon i-wie auch trügen.
 
Dabei
23 Nov 2016
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#16
Die besondere Herausforderung in den Phasen, in denen mein Freund starke Depressionen hatte, bestand für mich darin, immer wieder Verständnis und Geduld aufzubringen und meine Bedürfnisse in den Hintergrund zu stellen. Das geht immer eine gewisse Zeit und ich bin nun wirklich nicht mit wenig Verständnis für andere Menschen ausgestattet. Aber wenn sich Erkrankungen über einen längeren Zeitraum erstrecken, ist das immer belastend, weil dann der Erkrankte innerhalb der Beziehung (auch innerhalb der Familie) verstärkt die Aufmerksamkeit und Fürsorge braucht. Das geht dann zulasten der anderen, gesunden Mitglieder.
Natürlich will das der Erkrankte nicht und meinen Freund haben dann Schuldgefühle geplagt, die die Sache auch nicht besser machten, sondern die Depression verstärkten.

Vom Verstand her weiß man, dass es eine Erkrankung ist. Aber ich musste es mir auch immer wieder in Erinnerung rufen, um es nicht zu "vergessen" in Alltagssituationen und damit ich nicht wütend werde und es mich nicht verletzt (was ich ja auch nicht immer geschafft habe...). Denn natürlich ist es nicht einfach, wenn der andere gefühlsmäßig keine Regung zeigt, sondern abgestumpft und "abgekühlt" reagiert und ihm alles irgendwie egal ist. Dann ist es schwierig, das nicht persönlich zu nehmen, sondern sich bestimmte Verhaltensweisen mit der Erkrankung zu erklären. Denn zunächst ist so etwas verletzend. Da muss man schon ein reichlich dickes Fell haben (habe ich übrigens nicht).

Außerdem hatte ich zwischendurch Angst, dass er quasi so bleibt und nicht wieder so wird wie vorher. Wenn sich jemand ein Bein bricht, weiß man, dass es 6 oder 8 Wochen dauert, bis der Bruch verheilt ist und dann kann man wieder so laufen wie vorher. Dann nervt es vielleicht mit der Zeit etwas, wenn man dem anderen immer die Socken an oder ausziehen muss, aber das war's dann auch. Es beunruhigt einen ja nicht wirklich.

Aber wenn jemand aufgrund einer psychischen Erkrankung eine Wesensveränderung durchmacht, trifft dich das viel mehr. Denn schließlich liebst du deinen Partner wegen seines Charakters. Aber der ändert sich plötzlich. Dinge, die ich an meinem Partner sehr mochte, waren plötzlich weg, wie sein Humor, seine Kreativität und unser gemeinsames Interesse für Kunst und Sport. Mir hat es einfach Angst gemacht, ihn so desinteressiert an allem zu sehen.

Wenn mich berufliche oder alltägliche Sorgen bedrückten, konnte er mir in diesen Momenten auch keine Stütze sein. Ich habe dann diese Dinge mit mir selbst ausgemacht oder mit engen Freunden besprochen. Oder hier ins Forum geschrieben. Ich wollte ihn auch nicht zusätzlich belasten. Aber normalerweise ist ja der Partner die erste Anlaufstelle.

Aber um auch etwas Positives zu sagen: er hat diese Depression überwunden. Zur Zeit geht es ihm gut.

Mich hat es wieder ein kleines Stückchen stärker gemacht. Ich weiß jetzt, dass so etwas vorüber geht, ohne dass ich daran zerbrechen. Ich kann viele Probleme alleine lösen. Ich bin stark genug, das auszuhalten. Ich habe Ängste, die ich hatte, überwunden. Das ist es, was uns stark macht: die Erfahrung, dass man Ängste überwinden und schwierige Situationen meistern kann. Und mein Freund weiß, dass ich immer noch da bin, trotz seiner heftigen Depression.
 
Dabei
24 Sep 2017
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#17
Hallo,
ich glaube, die Rahmenbedingungen sind, dass man als der kranke Part geliebt wird - ob man sich nun in der niedergeschlagenen, fröhlichen, schlimmsten, verhaltensauffäligen oder wachsenden Phase befindet - ohne dass der andere einen für verrückt oder toxisch hält, weil manches nicht nachvollziehbar und unverständlich ist.
 
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