Freundschaft - FreundschaftPlus - Liebe?

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17 Sep 2016
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Liebe geduldige Zuhörer, Komplizen und Kritiker,

ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr weiter weiß und über jeden neuen Input dankbar bin. Ich habe keine konkrete Frage, ich möchte einfach eure unverblümten Gedanken hören. Das Ganze wird leider sehr ausführlich, also eher keine leichte Klo-lektüre...

Ich habe seit ca 2,5 Jahren eine Freundschaft + … wir haben uns furchtbar gern, aber auf der anderen Seite geht mir niemand sonst so auf die Nerven, wie dieser Kerl. Auf die Außenwelt wirken wir wohl wie ein Paar, weil wir den selben Humor teilen und unsere Sätze gegenseitig beenden könnten. Wie Feuer und Wasser können wir nicht ohne-, und nicht miteinander.
Wir haben zusammen studiert und sind nun zeitgleich auf der Suche nach einem ersten festen Job. Bisher trieben wir uns mit meiner besten Freundin (durch die wir uns kennenlernten) als befreundetes Dreiergespann herum, jedoch ist sie nun für ein Jahr im Ausland, und zwangsläufig wird er, willentlich oder nicht, wenigstens für dieses eine Jahr meine „Konstante“. Er ist ein spezieller Typ, sehr präsent, dominant, gesellschaftskritisch, mit teils extremen Ansichten und in der Uni schlicht unübersehbar. Nicht gerade der perfekte Partner, den ich meinen Eltern vorstellen würde :D

Wir landeten in diesen 2,5 Jahren bisher mehrmals in der Kiste, und einer der Gründe, warum wir nicht fest zusammen gekommen sind, ist die Tatsache, dass wir unterschiedliche sexuelle Vorlieben haben. Immer wieder haben wir es im Bett versucht, aber wir lagen nur selten auf einer Wellenlänge. Wenn es dann tatsächlich so war, verhielt sich irgendwann einer von uns komisch / gekünstelt / abweisend, und alles endete in frustriertem Schweigen. Irgendwie selbstzerstörerisch.
Er war dann für mehrere Wochen in einer Kurzzeitbeziehung und jeder ging seiner Wege, ich habe versucht, mich möglichst zurück zu ziehen. Ich habe mich mit anderen Dingen abgelenkt, und alles war gut. Auch davor und danach kostete er seine Zeit als Single vollkommen aus, wohingegen ich eher zurückhaltend war. Vor einem halben Jahr beschlossen wir dann, weiterhin auch viel im Alltag zusammen zu unternehmen, doch es nächtlich beim „Kuscheln“ zu belassen. Sprich: Einer schläft beim Anderen, wir umarmen uns, ich schlafe auf seiner Schulter ein, oder wir berühren uns nachts nur gelegentlich mit den Füßen. Alles Sexuelle wurde verbannt, sowie das Küssen auf den Mund. Sehr selten hat er mich vor dem Schlafengehen unauffällig auf die Stirn geküsst, aber vor einem Kuss auf den Mund haben wir wohl beide die unüberwindbare Angst, es könnte zu etwas Größerem führen, das uns schlussendlich wieder nur enttäuscht. Ich habe ein kleines Täschchen mit privaten Sachen bei ihm (Bürste, Zahnbürste, Höschen, Mascara etc), das immer friedlich in seinem untersten Bücherregal ruht.

So weit, so gut. Bis vor Kurzem war ich glücklich damit, denn ich wusste, was ich an ihm als guten Kumpel hatte, und was er mir wiederum niemals als Partner geben könnte. Doch jetzt werden wir in wenigen Wochen beide aus unserer Studienstadt wegziehen und in andere Städte ziehen, da wir uns beide deutschlandweit beworben haben. Und langsam bilde ich mir ein, kalte Füße zu kriegen. Der Gedanke, wochen- oder monatelang von ihm getrennt zu werden, wird real und beängstigend. Besonders seit letzter Woche. Zum allerersten Mal besuchte ich ihn für 3 Tage in seinem Elternhaus, wohin er bis zum Jobstart übergangsweise gezogen ist. Wir gingen abends zusammen zu einem Geburtstag seines Freundes, und es war schön, das erste Mal alle seine „Kindergartenfreunde“ kennen zu lernen. Auch zu seiner Mum hatte ich einen guten Draht. Abgesehen von einem kleinen Zoff (aufgrund einer anderen angespannten Situation, an der wir beide jedoch nichts ändern konnten) verlief alles harmonisch. Ich hielt mich beim Geburtstag eher in einer Ecke mit seinen weiblichen Freunden auf und konnte ihn aus der Ferne beobachten. Es hat mich sehr gefreut zu sehen, wie wohl er sich fühlt, und wie herzlich er seit langer Zeit wieder lachen konnte. Um nachts nicht mit dem Auto heimfahren zu müssen, schliefen wir auf dem Sofa des Kumpels.
Am Morgen war ich vor ihm wach und setzte mich kurz auf, sah aus dem Fenster und genoss die Sonnenstrahlen. Von einer Sekunde auf die andere legte er mir dann im Halbschlaf seine warme Hand auf meinen Rücken, wo sie mehrere Minuten ruhte. Ich kann nicht beschreiben, warum mir dieser Moment so eindrücklich haften geblieben ist, aber es fühlt sich an, als hätte mich ein Blitz durchzuckt.
Wenige Stunden später mussten wir uns verabschieden hielten diesen Augenblick so pragmatisch, bzw. voller blöder Witze, wie nur irgendwie möglich. Aber seine Hände ruhten bei der Umarmung einen Tick zu lang auf meiner Hüfte, und ich tat so, als ob ich es nicht bemerken würde.
Und seit diesem einen Wochenende denke ich jeden Tag an ihn. Nicht verknallt wie ein Teenager, der nicht essen oder schlafen kann. Ich habe das Gefühl, diese Phase haben wir übersprungen, es fühlt sich viel stabiler und erwachsener an. Aber ich ertappe mich bei den Gedanken an seine Hände, seine Augen, seinen Geruch, welchen ich aus einer Entfernung von 10m wahrnehmen könnte, und an die altbekannte Kuhle zwischen seinem Hals und Schlüsselbein. Abends betrachte ich unsere gemeinsamen Bilder auf meinem Handy (was mich gerade zu erschreckt! Sowas fand ich bisher eher kitschig.) und höre mir zum wiederholten Male seine Sprachnachrichten an, die wir uns tagsüber schicken. Ich fiebere auf die Stellen hin, in denen ich durch den Lautsprecher höre, wie er am anderen Ende der Leitung amüsiert grinst, und freue mich wie ein Kind an Weihnachten.

Und jetzt weiß ich einfach nicht mehr weiter. Ich weiß nicht, ob das Liebe ist, oder nur eine gemütliche Vertrautheit? Und ich weiß erst recht nicht, ob ich überhaupt mit ihm zusammen sein könnte, weil mir manche seiner Angewohnheiten gehörig gegen den Strich gehen. Wären wir ein Paar, so würden bei uns jeden zweiten Tag die Fetzen fliegen, nur damit wir uns an den anderen Tagen wieder vertragen könnten, als wäre nie etwas passiert. Von der Fernbeziehung ganz zu schweigen, darauf sind wir beide nicht scharf. Außerdem kann ich mir nicht sicher sein, dass er ähnlich fühlt. Ich meine… er ist in einer komfortablen Situation. Er kann mit allen Single-Frauen schlafen, mit denen er will, und kann an den anderen Abenden mit seiner besten Freundin kuscheln und philosophieren. Warum sollte er das aufgeben wollen?

Ich habe die leise Befürchtung, dass wir uns aus den Augen verlieren werden. Wir werden erst viel Kontakt halten, und mit der Zeit immer weniger, während sich jeder sein neues Leben aufbaut und womöglich andere Partner kennen lernt, die uns besser ergänzen. Die Vorstellung, ihn Hand in Hand mit einer anderen Frau zu sehen, löste bei mir bisher nichts aus, aber mittlerweile schon. Und ich wage zu behaupten, dass es ihn andersherum auch nicht kalt lassen würde.
Ich bin mit meinem Latein am Ende und will mich eigentlich nicht in 20 Jahren fragen wollen „Was wäre, wenn…?“. Gleichzeitig sehe ich keine Zukunft, weil wir teils sehr unterschiedliche Werte leben, und auch sexuell nicht harmonieren (was man möglicherweise mit einer offenen Beziehung lösen könnte, aber mal ehrlich: wie viele offene Beziehungen halten WIRKLICH jahrelang, sodass nicht einer der Partner still darunter leidet?).

Im Januar kam ich von einem halbjährigen Auslandssemester zurück, und wir tranken in einem Pub auf unsere Freundschaft und das Wiedersehen. Beim Anstoßen sagte er plötzlich angeheitert und freudestrahlend nach einem Witz meinerseits „Ach, ich liebe dich einfach!“, was ich als albernen Scherz interpretierte (á la „Ach, liebe Schnitzel!“) und ging auf die Damentoilette. Vielleicht hätte ich anders reagieren sollen...
 

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