Hallo Klingel,
für mich liest sich das nach Schock, aber wie es wirklich ist, kann man auf Entfernung nicht sagen. Überhaupt muss man bei sowas immer den Einzelfall sehen.
Ich bin erschüttert, was ich hier so in diesem Thread lese ... von wegen keinerlei Hämatome, dann kann es ja auch nicht wahr sein.. usw. Ich steck ja gerade im Thema, denn ich hab einen Typen, der mich vor inzwischen mehr als 16 Jahren vergewaltigt hat, vor ein paar Monaten angezeigt, das Ermittlungsverfahren läuft auf Hochtouren. Aus der Betreuung daraus heraus kann ich Dir den Weissen Ring empfehlen, einfach mal googeln, oder aber Du gehst mal in eine Polizeidienststelle, da liegen meist Faltblätter und Infobroschüren vom Weissen Ring aus, auf Nachfrage bekommst Du aber ganz sicher welche.
Was da wie zu sehen ist, ist individuell zu betrachten und auch wie sich das Opfer verhält kann total unterschiedlich sein. Gab kürzlich auch mal ne Diskussion im Fernsehen wg. des Falls Kachelmann. Bei dieser Diskussion war auch ne Anwältin anwesend, die viele Vergewaltigungsopfer vertreten hat und meinte u.a., dass die Reaktionen ganz unterschiedlich ausfallen, Frauen da sehr unterschiedliche Wege haben, um damit umzugehen und sie meinte des weiteren, dass es keine Seltenheit sei, dass betroffene Frauen sich in ihren Aussagen zum Vorfall widersprechen. So jedenfalls hat mir das meine Freundin erzählt, denn ich selbst hab die Diskussion nicht gesehen. Meine Freundin interessiert sich aber für das Thema - wegen mir. Weil sie nämlich einfach immer wieder mal geschockt ist. Geschockt davon, dass sowas überhaupt passiert, geschockt davon, dass ich sowas erlebt hab, geschockt davon, wie ich damit umgehe und geschockt davon, wie die lieben Mitmenschen immer so reagieren. Und der Aufreger schlechthin für sie war, dass ein Staatsanwalt, der ebenfalls an der Diskussion teilnahm, der also die Strafverfahren für Vergewaltiger bearbeitet, auf die Frage, was er denn seiner Tochter raten würde, sollte sie Opfer einer Vergewaltigung werden, gesagt hat, er würde ihr raten, es NICHT anzuzeigen. Er hat es begründet damit, dass die Verfahrensumstände wirklich schlimm sind für die Opfer... z.B. entsprechende Untersuchungen, aber auch anderes.
Tatsächlich erleb ich das Verfahren JETZT auch als Belastung. Nicht als so große, dass das allein mich völlig umhauen würde, aber es ist definitiv eine zusätzliche Belastung und kein Spaß. Dennoch spürte ich am Tag der Anzeige für mich erstmal eine Entlastung. Allein dafür hat es sich für mich gelohnt, diese Anzeige gemacht zu haben. Ob da nun im Verfahren was bei raus kommt, oder nicht. Ich hab das Schweigen öffentlich gebrochen konkret in Bezug auf die Person an der richtigen Stelle. Hat aber wie gesagt 16 Jahre gedauert, bis ich das gemacht hab.
Doch trotz der erlebten Erleichterung kann ich nicht sagen, ob ich es nochmal machen würde, wenn ich die Zeit zurück drehen könnte. Kann ich jetzt mittendrin wohl auch nicht einschätzen, vielleicht, wenn das alles mal abgeschlossen ist. Im Moment befind ich mich halt gefühlt in einem Albtraum, den ich eigentlich vergessen möchte, aber nicht kann, und im Moment schon gar nicht, weil das Verfahren eben läuft. Und ich bin auch noch schuld, dass es läuft... Also was ich sagen will: es ist da nicht so einfach, irgendwas richtig zu machen. Es gibt da auch kein richtiges allgemeingültiges Rezept. Weder für Deine Freundin, noch für Dich.
Raten würde ich Dir zu etwas, dass ich in Zusammenhang mit einem anderen Problem kürzlich gelesen habe: versuch, für sie da zu sein, ihr zuzuhören, sie aber auch nichts zu drängen. Das Problem klar benennen und nicht unter den Tisch fallen lassen, aber auch nichts erzwingen. Und nicht selbst versuchen, es zu lösen oder besser zu machen, sondern ihr konkrete Hilfsangebote vorschlagen - wie eben z.B. der weisse Ring. Am besten besorgst Du schon mal ne Info-Broschüre, so lange, bis sie zurück kommt - damit Du ihr was direkt an die Hand geben kannst und ihr nicht nur drüber redet. Auch nicht sauer sein, wenn sie das erstmal nicht will oder nicht anguckt. Lass es ihr da. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass sie es eben doch anguckt, wenn sie alleine ist - und dann hat sie zumindest nen absolut kompetenten Ansprechpartner mit konkreten Hilfsangeboten, die es da tatsächlich gibt. Man ist nicht alleine! Sie nicht. Du auch nicht!
Wenn Du Probleme mit der Situation hast und es Dich belastet, würd ich Dir ein Gespräch mit dem sozialpsychiatrischen Dienst Deiner Stadt empfehlen. Vermutlich können die Dir sogar noch weitere Hilfsangebote nennen außer denen vom Weissen Ring.
Und nur, um Dir mal ein EINZELfallbeispiel mit an die Hand zu geben, hier nochmal ein paar Eckdaten aus meiner Geschichte.
Ein paar Monate vor den Vorfällen, die ich nun zur Anzeige gebracht habe, war ich schon mal Opfer einer versuchten Vergewaltigung. Auf dem Nachhauseweg. Den Typen hab ich nie zuvor und nie danach gesehen. Ich war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort, ich wette, es hätte JEDE andere getroffen, die in dem Moment eben da vorbei gelaufen wäre. Es lag also nicht an mir. Ich hab mich gewehrt so gut ich konnte, denn ich sah da Chancen. Es gelang mir auch immer wieder mal, mich loszureißen und wegzulaufen. Leider war er schneller als ich und sprang mich immer wieder von hinten an und riss mich zu Boden. Ergebnis: ich kam 2h zu spät nach hause, der von Mama geborgte Rock war zerrissen, ich kassierte eine der 3 Ohrfeigen von meinen Eltern meines Lebens, weil ich nämlich eigentlich schon aufgehübscht war und den Rock nur anhatte, weil wir noch zu einer Familienfeier wollten, ich hatte einige Hämatome an den Armen und am Rücken - aber ich war nicht vergewaltigt worden, denn das hatte er nicht geschafft. Ein Bedürfnis, den Vorfall meinen Eltern zu schildern, hatte ich an dem Abend nach dem Empfang zu hause nicht mehr. Und auch später nicht mehr, da ich eher mit einschränkenden Sanktionen rechnete, denn mit irgendwas, was mir helfen würde. Und es war ja im Grunde auch fast nichts passiert. Allerdings hatte ich dennoch einen Schock, denn Gewalt hatte ich bis auf eine Ohrfeige, die eigentlich meinBruder hätte kassieren müssen, vor diesem Vorfall überhaupt noch nicht erlebt. Und Du darfst mir glauben, dass mir Rücken und Arme weh taten.
Die wirklichen Vergewaltigungen wurden mir von einem Typen angetan, den ich durchaus vom Sehen und mit Namen kannte, denn wir gingen mal auf die selbe Schule, er einige Klassen über mir. Nach dem ersten Vorfall, den ich da noch für den einzigen und letzten hielt, hatte ich nen richtigen Schock. Und zwar richtig lange. Volle zwei Wochen funktionierte ich zwar ganz hervorragend, aber ich hab überhaupt nichts wirklich mitgekriegt. Es kam gar nix bei mir an. Nichts drang zu mir durch. Und kein Mensch hat irgendwas bemerkt, denn ich war fröhlich, freundlich und funktionierend wie immer. Erst nach zwei Wochen kam der Zusammenbruch und dann bin ich mir auch erst überhaupt mal bewusst geworden, was eigentlich passiert ist. Ich hatte meine Gründe, und wie ich damals meinte gute Gründe, ihn nicht anzuzeigen. Heute, als 33jährige denke ich, es war der naive Glaube einer 16jährigen, dass es gute und vor allem hinreichende Gründe gewesen wären, es nicht zu tun. Dennoch verurteile ich mich nicht dafür, dass ich es so lange eben nicht gemacht hab. Und ich werd mir jetzt auch keine Vorwürfe mehr machen, dass ich ihn eben doch noch angezeigt hab. Es war einfach so wie es war. Und ich hab mir das nicht ausgesucht, vergewaltigt zu werden. Es ist halt so, dass der Täter da den Moment mal irgendwas an Befriedigung oder Spaß oder Machterleben oder sonst was von hat, die Opfer haben da was ein Leben lang von.
Ich litt nicht ständig seit damals, eigentlich nach einer gewissen Zeit der Verarbeitung kaum noch darunter, aber im Moment kommt es eben durch das Verfahren und daraus resultierende Befragungen alles wieder hoch. Und übrigens: nein, ich kann mich nicht erinnern, dass ich nach den tatsächlichen Vergewaltigungen irgend welche Verletzungen oder blauen Flecke hatte. Ich glaube nicht. Denn im Gegensatz zu dem Typen, der es zuerst mal versucht hatte, war dieser hier ein Kerl wie ein Baum und ich hatte nicht das Gefühl, überhaupt ne Chance zu haben, da gegen anzukommen, bzw. bekam direkt das Echo, wenn ich versuchte mich zu wehren. Bei einem ganz konkreten Vorfall hab ich gedacht, ich überleb diesen Abend nicht, wenn ich auch nur noch einmal die Hand gegen ihn erhebe oder irgendwas mache. Da hab ich wirklich gedacht, er haut mich gleich mit dem Kopf gegen die Hauswand und ich bleibe dann auf der Treppe liegen. Und nein, ich kann mich auch nicht wirkllich erinnern, nach diesem Abend blaue Flecken gehabt zu haben. Aber ich weiß sehr wohl, dass es schlimm war, dass ich niemanden wünsche, sowas erleben zu müssen, und ich weiß auch, dass andere noch viel schlimmeres erleben mussten als ich es habe. Doch nur, dass ich keine nachweisbaren blauen Flecken vorlegen kann, heißt nicht, dass es nicht war.